Osteopathie bei Pferden: Mit Händen sanft heilen

Osteopathie bei Pferden: Osteopathie hält Pferde beweglich – Patricia Lösche

Osteopathen brauchen Gefühl und Augenmaß

Osteopathie bei Pferden ist alles andere als XXL-Knochenbrecherei. Das grobmotorische Zerren an Knochen und Muskeln macht ein Pferd nicht heil, sondern kaputt. Wenn Gelenke blockieren, Fehlstellungen zu Verspannungen führen, wenn Muskeln verkrampfen und Bewegung schmerzt, kurz: Wenn das Pferd nicht mehr rund läuft, sind ein geschultes Auge und Fingerspitzengefühl gefragt. Osteopathen sind nicht die Holzhacker, sondern die Feinmechaniker unter den Pferdetherapeuten. Vor dem Hintergrund genauer Kenntnisse von anatomischen und biomechanischen Zusammenhängen lassen sich die Ursachen von Bewegungsstörungen erkennen und sinnvoll therapieren.

Funktionsstörungen und Blockaden im Bewegungsapparat ziehen beim Pferd erhebliche Rittigkeitsprobleme bis hin zu Lahmheiten nach sich.

  • Probleme mit der Anlehnung und Beizäumung
  • unwilliges Biegen auf einer Hand
  • Taktunreinheiten
  • Anspringen im Kreuzgalopp

können Indizien dafür sein, dass es irgendwo klemmt. Übergänge zwischen den Gangarten lassen sich nicht sauber reiten, das Pferd schwingt nicht im Rücken und zeigt wenig Freude an der Bewegung. Untersuchungsbefunde sind in vielen Fällen nicht wirklich aussagekräftig. Jetzt ist der Pferde-Osteopath gefragt.

Osteopathie im Pferdestall

Manuelle Therapien wie die Osteopathie sind längst im Pferdestall angekommen. Ganz gleich, ob Turnier- oder Freizeitpferd, diese Behandlungsform bietet eine große Bandbreite therapeutischer Möglichkeiten. Sie helfen bei Erhaltung und Wiederherstellung eines ausgeglichenen Bewegungsablaufs. Osteopathen arbeiten ganzheitlich.

  • Fütterung
  • Haltung
  • Sattel
  • Hufbeschlag
  • Einwirkung des Reiters

sind für die Beurteilung des Pferde-Patienten durch den Osteopathen ebenso wichtig wie dessen individuelle Anatomie und Bewegungsabläufe.

Vor einer osteopathischen Behandlung wird das Pferd zunächst im Stand betrachtet. Körperbau und Gliedmaßenstellung geben erste Hinweise auf mögliche Ursachen für eine Schonhaltung, für schiefe oder asymmetrische Bemuskelung. Pferde mit mehr oder weniger ausgeprägten Fehlstellungen und Gebäudemängeln leiden oft unter den Folgen von Fehlbelastungen durch kompensatorische Bewegungen.

Eine Betrachtung in allen drei Gangarten auf beiden Seiten schließt sich an. Das erlaubt weitere Rückschlüsse auf die Ursache einer Steifheit, Lahmheit, oder einen nicht losgelassenen Pferderücken. Sowohl an der Longe, als auch unter dem Sattel, eventuell auch frei laufend wird der Osteopath das Pferd in der Bewegung auf unphysiologische Abweichungen der Biomechanik hin bewerten: Wie arbeiten die Muskeln, klappt das Zusammenspiel bewegungsbestimmender Muskelgruppen, wo gibt es Abweichungen? Je diffuser die Symptomatik, desto schwieriger und zeitaufwändiger die Diagnosefindung.

Osteopathie für Pferde: Angeborene Indikationen – Foto: Patricia Lösche

Osteopathie: Mit den Händen sehen, was den Augen verborgen bleibt

Jetzt folgt die gründliche manuelle Untersuchung. Sanft gleiten dazu die suchenden Hände des Osteopathen über den Pferdekörper, ertasten Verhärtungen (Myogelosen), suchen nach Verspannungen in Muskulatur und muskulären Funktionseinheiten. Gelenke werden auf mögliche Bewegungseinschränkungen hin untersucht. Die forschenden Finger des Therapeuten finden funktionale Einschränkungen (Dysfunktionen) und Schmerzareale im Gewebe.

In der Osteopathie ist immer dann von Dysfunktion und Läsion die Rede, wenn etwas nicht richtig funktioniert. Gemeint ist die reduzierte Beweglichkeit von Gelenken oder Geweben. Die Bewegungseinschränkung eines Gelenks oder die Fehlstellung von Wirbeln wird allgemein als Blockade bezeichnet. Laien stellen sich darunter fälschlicherweise die totale Unbeweglichkeit eines Gelenks vor. In der Osteopathie spricht man dagegen von einer Blockade, wenn die Beweglichkeit innerhalb des physiologisch möglichen Bewegungsspielraums eingeschränkt ist.

Bei einer Blockade, wie sie beispielsweise durch unkontrollierte Bewegung oder traumatische Einwirkung auf die Wirbelsäule entstehen kann, werden die nah am Gelenk liegenden (autochthonen) Muskeln kurzfristig überdehnt, damit verletzt und geschädigt, das Gelenk destabilisiert. In den Muskeln befinden sich Rezeptoren, die dem Nervensystem permanent Informationen über die Muskellänge übermitteln. Um Schäden zu vermeiden, sorgt bei Überdehnungsgefahr ein Schutzmechanismus für die reflektorische Verkürzung (Kontraktion) der gefährdeten Muskeln.

Osteopathie für Pferde: Ungleiche Hufe sind ein Indiz für Bewegungsprobleme – Foto: Patricia Lösche

Schutz und Schaden

Die Kontraktion bleibt auch nach Wegfall der Überdehnung häufig bestehen. Bleibt sie unbehandelt, entstehen wie in einer Kettenreaktion aus lokalen Ereignissen dieser Art weitere Blockaden und erhebliche Funktionsstörungen. Möglicherweise mit weitreichenden Konsequenzen für den gesamten Bewegungsablauf. Weil sie das Ergebnis einer Muskelverletzung (Trauma) sind, sprechen Osteopathen in diesem Fall von einer primär-traumatischen Dysfunktion. Als Ursache kommen Stürze und Unfälle infrage, aber auch Narben oder Schmerzzustände nach Operationen.

Sekundäre Dysfunktionen sind die Folge einer länger bestehenden Überlastung. Ursache dafür können Gebäudemängel oder Fehlstellungen sein, aber auch unerkannte erworbene Schäden. Zum Bewegungsapparat zählt nicht nur das knöcherne Skelett mit seinen gelenkigen Verbindungen. Auch das Muskelskelett, Sehnen, Bänder, Gelenkkapseln gehören dazu und werden durch eine Blockade in Mitleidenschaft gezogen. Ebenso können Nerven, Blutgefäße, Lymphe, sogar innere Organe unter den Folgen einer dauerhaften Fehlbelastung sekundäre Dysfunktionen entwickeln.

Osteopathie für Pferde: Erworbene Indikationen – Foto: Patricia Lösche

Osteopathie sucht den Ursprung der Fehlbelastung

Blockiert als Folge eines Sturzes beispielsweise der siebte Halswirbel, mag das Pferd sich nicht in Richtung der Blockade stellen, tritt verkürzt und ist wenig gehfreudig. Die Blockade löst eine Kaskade von kompensatorischen Reaktionen aus. Unbehandelt führt die Fehlbelastung einerseits zu weiteren Verspannungen in der Halswirbelsäule und im Genick, anderseits kommt es zur Beeinträchtigung der muskulären Verbindungen zur Schulter und zur Hinterhand.

Das ursächliche Problem wirkt sich also nicht nur lokal aus, sondern führt auch in entfernten Körperregionen zu Gewebe- oder Gelenkblockaden. Auf diese Weise kompensiert der Organismus Folgen von Fehlbelastung im Bereich des ursprünglichen Schadens. Für das Pferd als Fluchttier ist diese Kettenreaktion sinnvoll. Als Beutetier ist es darauf angewiesen, Störungen im Bewegungsablauf so schnell wie möglich auszugleichen. Schließlich interessieren sich Fressfeinde vor allem für schwache und verletzte Tiere.

Innere Erkrankungen – auch ein Fall für den Osteopathen

Fehlgärungen im Darm oder unerkannte Schmerzgeschehen im Bereich der Organe können ebenfalls Dysfunktionen im Bewegungsapparat auslösen. So kann der ursprüngliche Schaden dem Besitzer verborgen geblieben sein, bis als Summe der Folgen schließlich Probleme an ganz anderer Stelle hervortreten. Die Osteopathie ist eine ganzheitliche Behandlungsform. Jenseits der vordergründigen Symptomatik gilt es, den Ursprung aufzuspüren und zu beheben, sofern das möglich ist. Ein blockiertes Gelenk „einzurenken“, ohne die Ursache der Blockade zu behandeln, ist darum nicht nur sinnlos. Es kann das Problem sogar erheblich verstärken.

Ziel der osteopathischen Behandlung ist es, den Teufelskreis aus Blockade, Spannungsschmerz der Muskulatur und Durchblutungsstörung zu durchbrechen. Erst dann gibt es für das Pferd einen Ausweg aus der Verkettung von Schonhaltung und Überlastung von kompensierenden Muskelgruppen. Grundsätzlich werden drei Therapiebereiche unterschieden:

  • Die parietale Osteopathie widmet sich dem gesamten Bewegungsapparat und den Spinalnerven
  • Die viszerale Osteopathie behandelt die inneren Organe und das vegetative Nervensystem
  • Die kraniosakrale Osteopathie wendet sich dem Zentralnervensystem, seinen umliegenden Strukturen und dem Kreuzbein zu.

Dauer und Kontraindikationen der osteopathischen Behandlung

Im Rahmen einer osteopathischen Behandlung lassen sich die verschiedenen Techniken auch kombinieren. Welche angewandt werden, richtet sich nach der jeweiligen Diagnose, der therapeutischen Strategie, nach der Reaktion und Zugänglichkeit des Pferdes. Untersuchung und Behandlung dauern in der Regel etwa eineinhalb Stunden.

Besonders bei länger bestehenden Problemen sind Nachbehandlungen innerhalb der nächsten Wochen sinnvoll oder nötig. Ein jährlicher Checkup für die rechtzeitige Erkennung von Blockaden und Dysfunktionen ist zur Gesunderhaltung des Pferdes empfehlenswert.

Eine osteopathische Therapie ist nicht angezeigt bei akuten strukturellen Körperschäden, wie Sehnenverletzungen, Knochenbrüchen oder offenen Wunden. Die Nachbehandlung in der Rehabilitationsphase ist nach Abheilung jedoch sinnvoll und kann die Genesung beschleunigen.

Dass Osteopathie schmerzhafte Blockaden im Bewegungsapparat lösen kann, gilt inzwischen als hinlänglich bewiesen. Im Humanbereich wird die osteopathische Behandlung heute von vielen Krankenkassen übernommen. Mit Verzögerung hat sich diese Erkenntnis auch in der Veterinärmedizin durchgesetzt. Allerdings mangelt es hier noch immer an gut ausgebildeten Osteopathen. Und ohne Ausbildung reicht es eben nur zum Knochenbrecher – mit erheblichen Risiken für Gesundheit und Reitbarkeit des Patienten.

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