Praktische Veterinäranatomie – den Bewegungsapparat erlernen

Praktische Veterinäranatomie – den Bewegungsapparat erlernen – ATM

Das mechanische Auswendiglernen der Strukturen des Bewegungsapparates von Hund und Pferd gehört für Schüler der Tierheilberufe an der ATM der Vergangenheit an. Im neuen Seminar für die praktische Anatomie bauen die Teilnehmer selbst Gelenke zusammen. In kleinen Gruppen erarbeiten und präsentieren sie die großen Gelenke mit all ihren zugehörigen Hilfsstrukturen und Muskeln. Ziel dieses einzigartigen Seminars: Den Bewegungsapparat von Hund und Pferd im wahrsten Sinne des Wortes zu „be-greifen“.

Welcher Studierende der Veterinärmedizin kennt es nicht? Erst die vielen Knochen lernen, dann die wichtigsten Gelenke samt ihrer Hilfsstrukturen – und bei den Muskeln hört es bei manch einem endgültig auf. Ein Lernerlebnis, das zur Vorbereitung in jedem Tierheilberuf schlichtweg dazugehört. Egal, ob an der Universität oder in anderen Ausbildungsbereichen: Die Anatomie des Bewegungsapparats erscheint einfach überwältigend. Wer sich tapfer durch Knochen und Gelenke gekämpft hat, beginnt schließlich doch zu verzweifeln, wenn anschließend zu jedem Muskel Ursprung, Ansatz, Funktion und Innervation zu lernen sind und ein Muskel dann möglichst noch mehrere Anteile und Funktionen hat.

Mit den richtigen Hilfsmitteln gelingt auch das Lernen der lateinischen Begriffe in der Veterinäranatomie. (Foto: ATM)

Hinzu kommt zu all dem auch noch das Aneignen der Begriffe sowohl in deutscher als auch lateinischer Sprache. Unmöglich? Nein. Es ist machbar. Tatsächlich gibt es sogar eine ganze Reihe an Hilfsmitteln, um die enorme Masse an Wissen zu gliedern, sich zu veranschaulichen und sogar Muskelgruppen mit vielen ähnlich klingenden Muskeln zu lernen.

Gelenke selbst zusammenbauen

Um den Schülern genau solche Lernhilfen zu bieten, hat die ATM in Zusammenarbeit mit der Dozentin Prof. Dr. phil. Linda Maria Koldau und der Unterstützung durch den technischen Leiter Daniel Harms ein Seminar entwickelt, das in Deutschland einzigartig ist. Die „Praktische Anatomie“ kombiniert den anatomischen Lehrstoff mit Einzel- und Gruppenarbeit an Knochen, Gelenken und dem gesamten Skelett. Verschiedene Lernspiele und Gruppenaufgaben fordern die Schüler dazu heraus, sich im Detail mit den einzelnen Strukturen zu beschäftigen und sie vor dem Plenum zu präsentieren – eine erste Übung für die spätere Praxissituation, wenn einem Kunden oder Kollegen die Funktionsweise oder ein spezielles Problem anatomischer Strukturen erläutert werden muss.

Mithilfe eines 3D-Scanners hat Daniel Harms in minutiöser Feinarbeit die Knochen der Vorder- und Hintergliedmaße von Hund und Pferd eingescannt und anschließend als Kunststoff-Bastelsätze ausgedruckt. Im Unterricht müssen die Schüler nach der mündlichen Präsentation eines Gliedmaßengelenks eben dieses Gelenk mit Hilfe von Bändern, Kapseln und Muskelansätzen aus Knete nachbauen. Ein Anatomiemodell, mit den eigenen Händen erarbeitet.

Die ATM hat ein einzigartiges Seminar zur Praktischen Veterinäranatomie entwickelt. (Foto: ATM)

Wer das einmal gemacht hat, wird nie wieder vergessen, wie die Kreuzbänder im Knie verlaufen, wie die Menisken am Unterschenkelknochen befestigt sind und wie der Patellarmechanismus beim Pferd funktioniert. An einer ganzen Reihe von Hundeskeletten basteln die Arbeitsgruppen außerdem die Muskeln um jedes große Gelenk. Eine besondere Herausforderung erhält der Schüler, der die Karte mit dem Schulter-Oberarm-Gelenk oder gar der Schulter-Rumpf-Verbindung gezogen hat: Hier ist jeweils ein ganzer Kranz von Muskeln aus Knete zu formen und am Skelett zu befestigen. Und auch hier gilt der Grundsatz: Wer einmal einen Hund zusammengebaut hat, wird sich Knochen, Gelenke und Muskeln endlich merken können – schließlich hat er sie bereits „be-griffen“.

Auch die Krönung des Pferde-Bewegungsapparats, nämlich die pferdetypische einstrahlige Gliedmaßenspitze mit Fessel-, Kron- und Hufgelenk, wird in Kleingruppen erarbeitet und am Skelett präsentiert. Hinzu kommen Lern- und Merkspiele, die die Schwellenangst vor komplexen anatomischen Begriffen nehmen und das Verständnis festigen.

Die Kunststoff-Bastelsätze für das einzigartige Lernmodell entstanden mithilfe eines 3D-Scanners. (Foto: ATM)

Warum all die Details?

Das „Be-greifen“ beginnt bei den Knochen mit ihren vielen Einzelheiten. Jedes Höckerchen, jede Rundung und jede Kante hat ihren eigenen Namen – wie soll man sich all das merken? Und wozu ist das überhaupt notwendig? Das zeigt sich dann, wenn aus den Knochen Gelenke werden und aus den Gelenken ein funktionierendes Ganzes mit Bändern und Muskeln: Die Höckerchen sind Ursprungs- und Ansatzstellen, sie sind von der Natur nach der Notwendigkeit der Biomechanik geformt worden. Gerade die gewaltigen Pferdeknochen zeigen sehr eindrücklich, an welchen Stellen starke Zugkräfte so auf den Knochen einwirken, dass er eine plastisch geformte Ansatzstelle ausgebildet hat. Nach und nach wird dann ersichtlich, dass unser Skelett mit seinen zugehörigen Strukturen ein wunderbares Ganzes ist, an das kein menschlicher Baumeister heranreicht.

In Symmetrien lernen

Erleichterung kommt auf durch die grundsätzliche Symmetrie im Bewegungsapparat von Hund und Pferd: Vorder- und Hintergliedmaße lassen sich anhand einer gedachten Spiegelachse durch die Mitte des Körpers vergleichend lernen – hier ist nicht nur der Aufbau der Gliedmaßensäule gleich, sondern in Spiegelung auch die Beuge- und Streckseite der Gelenken mit den entsprechenden Muskelfunktionen.

Wer den einen Muskel mit Ursprung, Ansatz und Funktion gelernt hat, kann mit Hilfe der Spiegelsymmetrie daraus auch gleich das Gegenstück ableiten. Erst jenseits von Karpal- bzw. Tarsalgelenk, also bei Mittelfuß und Zehen, geht die Spiegelsymmetrie in eine parallele Ausrichtung über. Hier sind dann Beuge- und Streckseite an Vorder- und Hintergliedmaße gleich. Auch das erleichtert das Lernen der zugehörigen Muskeln.

Veterinäranatomie satt

Zwei Tage Tieranatomie für den Hund, zwei Tage für das Pferd: Nach diesen intensiven Tagen schwirrt den Schülern erst einmal der Kopf. Dank der intensiven dreidimensionalen Arbeit am Skelett und mit den Gelenkbausätzen haben sich die anatomischen Begriffe und Strukturen jedoch bereits innerhalb dieser kurzen Zeit so klar eingeprägt, dass sie den Schülern künftig nicht mehr als abstraktes Sammelsurium aus veterinärmedizinischem Wissen erscheinen, sondern als wichtiger Teil eines großen Ganzen – einer kunstvollen anatomischen Struktur, die allen Wirbeltieren gemeinsam ist und sich daher sehr leicht von Hund und Pferd auf andere Tierarten übertragen lässt. Wer einmal verstanden hat, wie der Hund „funktioniert“, kann künftig auch den Bewegungsapparat eines Frosches oder eines Kängurus verstehen und beurteilen.

Übrigens können Sie auch zuhause weiter üben: Sie werden erstaunt sein, wie viel Sie wiedererkennen, falls Sie einmal Hühnersuppe kochen und anschließend Femur, Tibia und Fibula identifizieren – und vielleicht im großen Knorpel um das Kniegelenk sogar die Kniescheibe finden.

Dozenten und Autoren ATM - Autorin Prof. Dr. Linda Maria Koldau

Prof. Dr. Linda Maria Koldau

Prof. Dr. Linda Maria Koldau ist Professorin für Kulturgeschichte und arbeitet seit 2014 in der Tierheilkunde sowie seit 2018 als Dozentin für Veterinäranatomie. Als Tierheilpraktikerin und Tierphysiotherapeutin ist sie besonders auf Meerschweinchen spezialisiert und hat zu dieser Tierart den Ratgeber „Meerschweinchen“ beim Kosmos-Verlag sowie mehrere Lehrbücher publiziert.

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