Reiseübelkeit beim Hund

Reiseübelkeit beim Hund 2690457 – Pixabay

Reiseübelkeit war ein ganz großes Thema für die Mischlingshündin Molly. Jedes Mal, wenn sie im Auto mitfahren sollte, litt sie sichtlich. Schon als Welpe war jede Fahrt mit ihr eine Herausforderung und endete mit Erbrechen und Durchfall. Zunächst wurden psychische Gründe als Ursache vermutet. Die Erkenntnis, dass ihre Reiseübelkeit zumindest teilweise einen physischen Hintergrund hat, kam erst allmählich. Die am Ende erfolgreiche Therapie erforderte viel Geduld und Ausdauer, hat den Alltag mit ihr aber enorm erleichtert.

Woran erkenne ich, dass mein Hund reisekrank ist?

Reiseübelkeit, medizinisch korrekt eigentlich Reisekrankheit (Kinetose), ist eine Krankheit des Magen-Darm-Traktes, die nicht immer leicht zu diagnostizieren ist. Dahinter steckt die körperliche Reaktion auf ungewohnte Beschleunigungen wie beispielsweise im Auto. Auch psychische Auslöser sind möglich. Molly zum Beispiel ist grundsätzlich ein sehr ängstlicher Hund. Schon von Anfang an fing Molly beim Anblick des Autos an zu zittern, zog die Rute ein, duckte sich und versuchte einen Ausweg zu finden. Geduldiges Heranführen mit verschiedensten Leckereien waren kaum erfolgreich. Ihre persönlichkeitsbedingte Ängstlichkeit schien als Ursache also erst einmal plausibel.

Aber ganz ließ es sich nicht vermeiden, Molly auch ab und zu mit dem Auto zu transportieren – zum Beispiel, wenn es zum Tierarzt ging. Für Molly war es jedes Mal mit enorm viel Stress verbunden. Sobald sich das Auto in Bewegung gesetzt hatte, zeigte sie verschiedene Symptome, die typisch für eine Kinetose sind, deren Intensität jedoch von Hund zu Hund variieren können, und die auch nicht immer alle gezeigt werden:

  • Veränderte Atmung: Die normale Atembewegung des Hundes ist die Rippen-Zwerchfell-Flankenatmung (kostoabdominale Atmung), an der – wie der Name sagt – sowohl Bauch wie Rippenregion beteiligt sind. Verändert sie sich zu einer deutlich erkennbaren costalen Atmung (Rippenatmung) deutet dies darauf hin, dass im Bauch etwas nicht stimmt. Das kann beispielsweise der Fall sein bei einer schmerzhaften Erkrankung im Bauchbereich.
  • Hecheln: Stressbedingtes Hecheln kann auf Nervosität während der Autofahrt hindeuten.
  • Verstärktes Speicheln (Ptyalismus): Nach nur wenigen Minuten im Auto floß Molly der Speichel unaufhörlich aus dem Maul.
  • Futterverweigerung (Anorexie): Jegliche Futteraufnahme, jedes Leckerli wurde während des Fahrens verweigert.
  • Durchfall (Diarrhoe): Nach jeder Fahrt hatte Molly starken Durchfall.
  • Erbrechen (Emesis): Dazu kam es entweder während der Fahrt oder unmittelbar danach.

Die Diagnose

Für die korrekte Diagnose war es wichtig, Molly vor, während und nach der Fahrt ganz genau zu beobachten und dem behandelnden Therapeuten die sichtbaren Symptome präzise zu schildern. Bei Molly ergab die Diagnose, dass ihr Verhalten tatsächlich auch etwas mit ihrer Angst zu tun hatte, nämlich mit einer. Sie verknüpfte das Auto mit den unangenehmen Erfahrungen von Missbefinden und Übelkeit. Sie hatte keine Angst vor dem Auto an sich, sondern davor, wie es ihr darin gehen wird, und hatte daraus eine Erwartungsangst entwickelt – mit dem Auto als Signal für die Angst vor der Übelkeit.

Reiseübelkeit beim Hund: Das passiert im Körper

Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Kinetose ist das Vestibularsystem, das Gleichgewichtsorgan im Innenohr des Hundes. Es erfasst schnelle Drehbewegungen und lineare Beschleunigung und leitet die erfassten „Daten“ über Nervenbahnen an das Gehirn weiter, wo sie verarbeitet werden, um die Position des Körpers zu bestimmen. Über die Augen erhält das Gehirn während der Autofahrt jedoch gleichzeitig Informationen über Bewegungen, die mit den durch das Vestibularsystem weitergeleiteten Daten nicht übereinstimmen. Es kommt zu einer widersprüchlichen Wahrnehmung, dem Hund wird übel und er muss schließlich erbrechen. Wem in der Achterbahn, auf See, im Flugzeug oder auch im Auto übel wird, dem ergeht es übrigens nicht anders. Sogar virtuell, vor dem Computer, ist es beim Menschen auslösbar.

Normalerweise ist Erbrechen ein körpereigener Schutzreflex, der aus dem Magen entfernt, was ungesund ist. Im Brechzentrum (Chemorezeptor-Triggerzone/CRTZ) reagieren spezielle Rezeptoren (Chemorezeptoren), sobald etwas als schädlich erkannt wird. Es befindet sich im verlängerten Mark (Medulla oblongata). Es ist Teil des Stammhirns und bezeichnet das vordere Ende des Rückenmarks, Anatomisch befindet es sich ungefähr dort, wo der Kopf an der Wirbelsäule ansetzt.

Die widersprüchlichen Informationen, die das Gehirn bekommt, lösen in der CRTZ den Brechreiz aus: Schnell aufeinander folgend kommt es daraufhin zu vermehrtem Speichelfluss, Magen, Zwerchfell und Bauchmuskulatur ziehen sich zusammen, und der Hund muss sich erbrechen. Damit zeigt er ein typisches Symptom der Kinetose.

Reiseübelkeit beim Hund: Therapie ist oft langwierig, lohnt sich aber für eine entspannte Hundehaltung (© Pixabay)

Wie kann eine Kinetose therapiert werden?

Wie bei den Symptomen, gilt auch bei der Therapie: Jeder Hund ist individuell und spricht auf unterschiedliche Trainings- und Therapiemethoden an. Grundlegend kann allerdings davon ausgegangen werden, dass es sehr lange dauern kann, bis sich Erfolge einstellen. Je später die Behandlung erfolgt, je häufiger der Hund die negative Erfahrung gemacht hat, desto schwieriger kann es werden. Aber es lohnt sich, denn Reiseübelkeit ist für Hund und Halter sehr belastend und einschränkend.

Zu Beginn ist es hilfreich herauszufinden, wo sich der Hund im Auto am wohlsten fühlt – beispielsweise in einer Transportbox oder auf der Rückbank. Dabei sollte immer auf eine ausreichende Sicherung und einen ruhigen Fahrstil geachtet werden. Molly ist ein Hund, der den direkten Kontakt zum Menschen sucht, ganz besonders wenn sie Angst hat oder sich unwohl fühlt. Der erste Ansatz war also, dass sie während der Fahrt auf der Rückbank sitzen durfte, neben einer Bezugsperson. Da ihre Kinetose stark ausgeprägt war, war es unmöglich, das Auto für sie mit positiven Dingen wie Futterbelohnungen zu verknüpfen. Auffällig war jedoch, dass die Symptome sich schwächer zeigten, wenn sie vor der Fahrt mental und körperlich ausreichend ausgelastet wurde. Die ersten kurzen Trainingseinheiten fanden darum nach ausgiebiger Beschäftigung statt, und das eigentliche Training bestand anfangs aus einer Kombination von Verhaltenstraining und Medikation.

In Absprache mit einem Tierarzt bekam Molly wegen der extrem stark ausgeprägten Symptomatik zunächst ein schwach dosiertes, nicht sedierendes schulmedizinisches Medikament gegen die Übelkeit (Antiemetikum) verabreicht. Zusätzlich wurde sie vor der Fahrt auf einer ausgewählten Strecke mit wenigen Kurven und Tempoänderungen ausreichend ausgelastet. Jetzt konnte Molly schon nach wenigen Minuten entspannen. Sie legte den Kopf ab, schloss die Augen, atmete tief durch und konnte zeitweise sogar schlafen. Da sie nicht medikamentös ruhiggestellt wurde, hatte sie erstmals die Gelegenheit positiver Erfahrung im Zusammenhang mit einer Autofahrt und konnte allmählich lernen, dass Autofahren nicht immer gleichzusetzen ist mit Übelkeit und Erbrechen.

Auch pflanzliche und andere naturheilkundliche Mittel oder Akupunktur können eingesetzt werden. Aber jede medikamentöse Behandlung erfolgt grundsätzlich nur nach ausführlicher Absprache mit dem Tierarzt oder Therapeuten. Dosierung und Dauer müssen unbedingt in enger Absprache mit einem Tierarzt oder Therapeuten erfolgen, der den Hund kennt.

Von diesem Zeitpunkt an wurde das Training einfacher. Bei Molly reichte die einmalige Gabe des Medikamentes aus, um fortan mit positiver Verstärkung durch Leckerlis arbeiten zu können. Beim Einsteigen, während der Fahrt und nach dem Aussteigen wurde sie belohnt. Zusätzlich wurden die meisten Fahrten so geplant, dass am Ende jeder Fahrt positive Erlebnisse standen, beispielsweise ein Spaziergang am Hundestrand. Nach etwa drei Monaten konsequenten Trainings konnte Molly ihre Erwartungsangst endgültig ablegen und zeigt seitdem auch keine Symptome der Kinetose mehr. Mittlerweile kann sie während der Fahrt Futter annehmen, hat keinen Speichelfluss mehr, muss nicht erbrechen und kann entspannt liegen.

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Dieser Artikel wurde bereitgestellt von Alexa Hammerschmidt.

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