Der Beruf Tierphysiotherapeut

Faszination Tierphysiotherapie:
Die Kunst des Spürens

Tierphysiotherapeut ist ein Beruf mit Zukunft. Ob Nachsorge nach Operationen oder Verletzungen, Abnutzungserscheinungen, Überlastung, zuchtbedingte Problematiken, Muskelschmerzen, Gelenkprobleme bei Hundesenioren oder Pferden, die lange in der Box stehen müssen, die Betreuung von Pferden und Hunden im Leistungssportbereich: Die Tätigkeitsfelder des Tierphysiotherapeuten sind vielfältig, der Markt ist riesig. Eine gründliche Ausbildung vorausgesetzt.

Tierphysiotherapeuten brauchen viel Einfühlungsvermögen. Ihre Hände ertasten, was Muskulatur, Faszien und Gelenke über den Bewegungsapparat des Patienten erzählen. Die übrigen Sinne konzentrieren sich auf die Reaktionen des Tierpatienten während der Behandlung.

Die Berliner Pferdephysiotherapeutin Elisabeth Reck hat ihre Ausbildung bei der ATM nebenberuflich gemacht und danach eine Praxis eröffnet. Wir haben sie nach ihren Erfahrungen in der Ausbildung und mit dem Beruf gefragt.

ATM: Frau Reck, welche Begabungen braucht man als praktizierender Tierphysiotherapeut?

Reck: Nach meinen Erfahrungen: Fleiß, Fleiß, Fleiß, Wissensdurst gepaart mit Liebe zum Tier. Außerdem genug Selbstbewusstsein, vor dem Hintergrund einer gründlichen Ausbildung, wie ich sie bei der ATM genossen habe, eigene Diagnosen sicher zu vertreten und zu diskutieren, auch wenn sie von anderen abweichen. Ebenso wichtig ist es, die eigene Diagnose immer wieder kritisch zu hinterfragen. Auch das habe ich während meiner Ausbildung gelernt.

ATM: Wie muss man sich so eine Diagnostik vorstellen?

Reck: Es beginnt mit dem Vorgespräch, dann folgt die gründliche Anamnese als therapiebestimmende „Bestandsaufnahme“ des Ist-Zustands. Dazu gehört: Allgemeiner Ausdruck, Abtasten im Stand, die Untersuchung der Gelenke und schließlich die Begutachtung in der Bewegung für die Gangbildanalyse. Das gilt für Pferd und Hund gleichermaßen. Beim Pferd kommt die differenzierte Analyse beim Longieren und unterm Reiter dazu, einschließlich Passform-Kontrolle des Equipments.

ATM: Worauf genau achten Tierphysiotherapeuten bei der Diagnostik?

Reck: Jedes Gewebe, jeder Bereich hat einen Grundtonus, darüber hinaus signalisiert Gewebe seinen Zustand aber sehr spezifisch. Asymmetrien, Verhärtungen, Knotenbildung in der Muskulatur, Auffälligkeiten im Fell, Temperatur- und Tonusunterschiede sagen mir etwas über den Zustand des Körpers. Manchmal fühlt man auch das Strömen und Pulsieren des Blutes im Gewebe. In erster Linie achte ich auf die Reaktionen des Pferdes, wie z.B. Lidschluss, Lippenlecken, Atmung, natürlich auch auf starke Reaktionen wie Treten, Beißen, Hautzucken, Wegdrücken.

ATM: Haben Sie das „Fühlen“ im Rahmen Ihrer ATM-Ausbildung erst entwickelt oder konnten Sie es schon?

Reck: Ich habe dort gelernt, dem Körper des Tieres genau zuzuhören und seine Antwort zu verstehen. Man lernt Unvoreingenommenheit, denn selbst wenn ein berechtigter Verdacht besteht: Die Diagnostik ist erst abgeschlossen, wenn Anamnese, Adspektion und Palpation, die Gelenks- und Bewegungsbefundung abgeschlossen sind. Manches zeigt sich sogar erst unter der Behandlung, weil es überlagert wurde von anderen Symptomen und Reaktionen. Kein Befund, kein Pferd oder auch Hund gleicht dem anderen. Das macht den Beruf so spannend.

ATM: Woher bekommen Sie Patienten?

Reck: Ich werde sehr oft direkt von Pferdebesitzern angesprochen, nachdem andere Behandlungen erfolglos blieben. Hinzu kommen Weiterempfehlungen, wenn die Behandlung erfolgreich war. Wer einmal festgestellt hat, wie gut es dem Pferd tut, wenn die Schmerzen weniger werden und die Zufriedenheit zurückkehrt, der kommt wieder. Pferde über einen längeren Zeitraum in eine bessere Lebensqualität zu führen, ist für mich das schönste Erfolgserlebnis. Und der beste Beweis, dass die Ausbildung ihr Geld wert war.

ATM: Und wie sieht dann die Behandlung aus?

Reck: Das hängt von den Problemen ab und lässt sich so pauschal nicht sagen. Ursachen können ja sehr unterschiedlich sein, etwa auf einem akuten oder verschleppten Trauma beruhen, postoperativ auftreten oder auch durch chronische Fehlhaltungen und Schmerzgeschehen zum Beispiel aufgrund von Kissing Spines und Arthrose, aber auch durch falsches Reiten ausgelöst werden. Erkrankungen des Knochenskeletts oder Verletzungen – auch nach OPs – gehen immer mit Verspannungen im Muskelskelett einher.

ATM: Wenn Sie sich einen Überblick verschafft haben, wie geht es dann weiter?

Reck: Muskulatur und Faszien werden durch Streichungen, Walken, Kiblerfalten, Wärme, Trigger- und Stresspunktbehandlung vorbereitet und gelockert. Danach werden die Gelenke mobilisiert und gegebenenfalls Dehnungsübungen vorgenommen. Myofasziale Triggerpunkte behandele ich durch Dry Needling.

ATM: Dry Needling, was ist das?

Reck: Eine Form der Akupunktur. Damit können myofasziale Triggerpunkte durch Einstechen von Akupunkturnadeln behandelt werden, lokale Muskelverhärtungen, eine sehr häufige Ursache für Schmerz in der Muskulatur. Aber dazu sollte man zusätzlich eine Tierakupunktur Ausbildung machen, wie sie die ATM ebenfalls anbietet. Ich habe damit angefangen, werde es aber auf jeden Fall weiter vertiefen.

ATM: Ausbildung – das ist ein gutes Stichwort. Schafft man sie auch ohne medizinische Vorbildung?

Reck: Grundsätzlich ja, aber natürlich machen Vorkenntnisse immer alles leichter. Ich hatte keine medizinische Vorbildung, aber ich habe Landwirtschaft studiert und daher allgemein biologische Kenntnisse. Das hat es mir zwar etwas erleichtert, aber die größte Herausforderung war das berufsbegleitende Studieren neben dem Vollzeitjob. Ohne Selbstdisziplin geht es nicht, denn mal eben so nebenbei ist die Ausbildung nicht zu schaffen, wenn man wirklich etwas können will. Ich war beruflich schon Kopfarbeiterin, da war es nicht immer einfach, sich nach der Arbeit noch mit Anatomie, Physiologie oder Behandlungstechniken zu beschäftigen und statt Urlaub zu machen Praktika und Seminare zu besuchen. Aber dank der tollen Unterlagen der ATM, die multimedial mit Videos, Präsentationen und Moderationen aufbereitet sind und immer und überall zur Verfügung stehen, lässt sich auch jede freie Minute zum Lernen nutzen. Das erleichtert das Studium enorm.

ATM: Kommen wir zurück zur Behandlung. Wie sieht dann so eine Diagnose aus?

Reck: Das hier ist Golden Sun, ein 18jähriger Fuchswallach. Er hat diverse Gebäudefehler sowie Gelenkerkrankungen und eine schmerzbedingte Fehlhaltung und lahmt durch phasenweise Verschlimmerung der Schmerzen immer wieder in Schüben.

ATM: Können Sie das fachlich im Detail erläutern?

Reck: Hier liegt ein multikausales Schmerzgeschehen vor. Der Wallach hat Spat an beiden Tarsalgelenken, lahmt in Schüben aufgrund einer Arthritis und resultierendem Hüftschiefstand, links nach kranio-ventral und rechts nach kaudo-dorsal. Er entlastet das linke Hinterbein. Hinzu kommen Gebäudemängel: Vorderbiegig an beiden Vordergliedmaßen mit zehenengem Stehen, eine gerade Kruppe. Gerade Kruppe und Schmerzgeschehen an den Hinterbeinen verhindern eine ausreichende Lastaufnahme hinten. Das führt zu einer fehlerhaften Beanspruchung der Rückenmuskulatur und vor allem der Lenden- und hinteren Brustwirbelsäule, was weitere Schmerzen verursacht. Der Schiefstand der Hüfte bedingt obendrein eine Rotation der Wirbelsäule bis zum Atlaswirbel.

ATM: Mit einer Behandlung ist das aber nicht behoben.

Reck: Nein, solche Pferde sind Dauerpatienten. Anfangs hat sich der Wallach vor lauter Schmerzen kaum behandeln lassen, inzwischen genießt er die Behandlung.

ATM: Wie gut ist die Akzeptanz durch die behandelnden Tierärzte? Kommt es zur Zusammenarbeit?

Reck: Das ist unterschiedlich. Von einigen wird man belächelt, andere sind skeptisch, aber es kommt auch zur Zusammenarbeit, sobald klar wird, dass ich über fundiertes Fachwissen verfüge, etwas, worauf bei der ATM ja der Fokus liegt.

ATM: Verraten Sie uns zum Schluss, was sie trotz Vollzeitjob zur Ausbildung motiviert hat?

Reck: Mein eigenes S-Dressurpferd, dessen Probleme trotz Behandlung nicht besser wurden. Da wollte ich den Dingen auf den Grund gehen. Mit der Ausbildung zur Tierphysiotherapeutin habe ich das geschafft.

ATM: Vielen Dank, Frau Reck.

Tierphysiotherapie Video – Aus dem Praxis-Alltag

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