Erklärt: Leaky Gut, der undichte Darm

Erklärt: Leaky Gut, der undichte Darm (Patricia Lösche)

Leaky Gut (gesprochen Liekie Gatt) heißt soviel wie „undichter Darm“. Das klingt so wenig spektakulär wie die Nachricht vom tropfenden Wasserhahn. Tatsächlich wird so ein leck geschlagener Darm aber mit schwerwiegenden Krankheiten in Verbindung gebracht. Beim Menschen gehören dazu

  • Zöliakie
  • Autoimmunerkrankungen
  • Tumore
  • Typ-1-Diabetes
  • Rheumatoide Arthritis
  • Multiple Sklerose.

Auch beim Hund ist die Liste der Erkrankungen, die damit einhergehen können, lang:

  • Stoffwechselprobleme
  • Autoimmungeschehen
  • Allergien
  • Neigung zu Infektionen
  • Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten
  • Verdauungsprobleme wie Durchfall

Gesundheitsprobleme, die immer häufiger auftreten. Ob ein Leaky Gut Ursache oder Folge dieser Krankheiten ist, wird noch diskutiert.

„Leaky Gut“ steht für eine veränderte Darmschleimhaut, einhergehend mit dem Verlust der Schutzfunktion gegen Erreger und Gifte (Toxine). Es gelangen Stoffe, die vom Darm ausgeschieden werden sollten, in die Blutbahn und werden dort vom Immunsystem bekämpft. Im weiteren Verlauf kommt es zu einer allgemein veränderten Immunantwort. Das Geschehen geht auf weitere Organe und den Körper über.

Leaky Gut Syndrom: Auch bei Katzen? (© photosforyou – Pixabay)

Leaky Gut – ein Widerspruch?

Oberflächlich betrachtet ist die Bezeichnung „Leaky Gut“ fast ein Widerspruch in sich, schließlich ist es die Aufgabe des Darms, undicht zu sein, sonst könnten Nährstoffe ihn nicht passieren. Um das verstehen zu können, müssen wir uns zunächst einmal mit den Basics der Darmfunktion beschäftigen. Obwohl gut geschützt im Bauch (Abdomen) liegend, ist der Darm die größte Kontaktfläche zur Außenwelt. Genau genommen ist er ein im Körper verlegtes Rohr mit einer Anfangsöffnung (Mund) und einer Endöffnung (After). Was dort hineingeht – Nahrungsmittel und Flüssigkeiten – kommt von außen, was davon übrigbleibt wird nach außen entsorgt. Auf dem Weg zwischen Anfang und Ende wird Fleisch, Knochen, Eingeweiden und pflanzlicher Nahrung alles entzogen, was der Körper zum Leben braucht.

Bei Pflanzenfressern ist der Darm sehr lang (beim Pferd etwa die 10-fache Körperlänge), Fleischfresser haben dagegen einen relativ kurzen Darm (bei Hund und Katze etwa 2-3fache Körperlänge). Wirklich beeindruckend ist allerdings die Fläche der vielfach gefalteten und mit vielen kleinen Erhebungen (Darmzotten) ausgestatteten Innenauskleidung des Darms, an der der Stoffaustausch stattfindet. Maximal auseinandergefaltet würde der etwa sechs bis sieben Meter lange Darm des Menschen eine Fläche von mehreren Hundert Quadratmetern bedecken, wobei sich die Angaben dazu im Einzelnen stark voneinander unterscheiden.

Die Verdauung: Weg der Nahrung durch den Körper am Beispiel Hund

Verdauung beginnt im Maul mit der Einspeichelung, dadurch gleitet die Nahrung besser durch die Speiseröhre. Schlingfresser wie Hunde zerkleinern ihre Nahrung vor dem Abschlucken nur grob. Erst im Magen wird die Nahrung von der beim Hund extrem aggressiven Magensäure zu einem verdaubaren Brei aufbereitet. Dort bleibt er bis zu 24 Stunden und wird in dieser Zeit in Abhängigkeit von Aktivitätsniveau portionsweise in den Dünndarm weitergeleitet. Im Dünndarm neutralisiert das Natriumbicarbonat des Pankreas-Sekrets die Salzsäure des Magens und macht den zunächst sauren Speisebrei alkalisch. Enzyme bauen Eiweiße, Fette und Kohlenhydrate chemisch ab und die Bausteine werden dem Körper als Nährstoffe zur Verfügung gestellt. Im Dickdarm erfolgt nur noch die Resteverwertung. Was der Körper nicht braucht, wird schließlich ausgeschieden. Erstaunlich wenig, wenn man bedenkt, was an Nahrung dafür notwendig war.

Gesunde Hunde werden über den Darm mit allen Nährstoffen versorgt (© Patricia Lösche)

Schutzwall gegen Darmerkrankungen?

Eine riesige Fläche, über die der Körper mit Nährstoffen versorgt wird. Über sie gelangen die Inhaltsstoffe der Nahrung ins Blut und werden überallhin transportiert. Darum scheint der Begriff Leaky Gut zunächst ein Widerspruch, denn damit Nährstoffe aufgenommen werden können, muss die Darmwand natürlich durchlässig sein und ist deswegen ein potenzielles Einfallstor, über das Krankheitserreger und Gifte ins Körperinnere gelangen können. Um das zu verhindern, bildet der gesunde Darm zur Verteidigung eine mächtige Barriere, die genau das verhindert. Mehrere Schutzmechanismen greifen dafür ineinander:

  • Die Darmschleimhaut (Mucosa) ist vorwiegend für bestimmte Stoffe (die Nährstoffe) durchlässig.
  • Die Darmmucosa verhindert mit Hilfe von Zell-zu-Zellverbindungen, sogenannten Tight Junctions, dass ungebetene Gäste unbemerkt zwischen den Zellen hindurchschlüpfen. Beim Leaky Gut spielen Tight Junctions eine zentrale Rolle.
  • Die Darmflora (Mikrobiota) verhindert passiv ein Besiedeln mit Fremdkeimen.
    In den tiefer gelegenen Schichten der Mucosa befinden sich rund 80 Prozent der Abwehrzellen des Immunsystems, die vor Ort oder über Blut und Lymphe in den Körper gelangen und dort aktiv werden. Die Immunzellen müssen nützliche Darmbakterien tolerieren und gleichzeitig Schadbakterien und Allergene abwehren können. Eine komplexe Aufgabe, die viel Training verlangt. Die Barrierefunktion ist also nicht starr, sondern wird regelmäßig vom Körper kontrolliert und neu einreguliert.
Das Leaky Gut Syndrom ist auf defekte Tight Junctions zurückzuführen (© designua – stock.adobe.com)

Beim Leaky-Gut sind die Tight junctions defekt. Im gesunden Darm sorgen diese funktionalen Einheiten dafür, dass Stoffe nicht unkontrolliert zwischen den Darmwand-Zellen hindurch in den Körper gelangen können. Es ist wie in einem Stadion: Nur an bestimmten Stellen werden Zuschauer mit gültiger Eintrittskarte eingelassen (oder erwünschte Stoffe in den Körper), während an anderen Stellen Zäune (unsere durch Tight junctions verbundenen Darmwandzellen) ein unkontrolliertes Betreten unmöglich machen. Aber Zäune können kaputtgehen. Ebenso die Tight Junctions in einem erkrankten Darm, dessen Filterfunktion dadurch verschlechtert wird.

Auf den Punkt gebracht bedeutet das: Hinter dem Leaky Gut steht eine veränderte Darmschleimhaut, einhergehend mit dem Verlust der Schutzfunktion gegen Erreger und Toxine.

Jetzt können Stoffe, die im Darm verbleiben sollten, die Darmwand ungehindert passieren, gelangen in die Blutbahnen und werden dort vom Immunsystem bekämpft. Die Immunantwort verändert sich, und das Geschehen kann auf weitere Organe und den ganzen Körper übergreifen.

In der Tiermedizin wird der Leaky Gut erst seit Kurzem diskutiert. Die Liste möglicher Ursachen für defekte Tight Junctions ist lang: Darmentzündungen, Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten können die Entstehung eines Leaky Gut begünstigen. Es kommt zu einer Verschiebung der Darmflora, dem bakteriellen Ökosystem im Darm. Ihre Vielfalt nimmt ab und Fremdkeime können sich vermehren. Die ungeschützte Darmwand reagiert darauf mit erhöhter Durchlässigkeit.

Auch Medikamente wie Schmerzmittel (NSAIDs), einige Antibiotika, Cortison, Protonenpumpenhemmer und andere können die Ursache sein. Hinzu kommen Krankheiten wie exokrine Pankreasinsuffizienz (EPI) und Futtermittelreaktionen. Ebenfalls als Ursache diskutiert werden glutenhaltige Futtermittel sowie Aromastoffe, Geschmacksverstärker, Farb- und Konservierungsstoffe, aber auch Umweltgifte und anhaltender Stress. Letztlich ist die gesteigerte Darmdurchlässigkeit selten auf nur eine Ursache zurückzuführen. Sicher ist, dass eine intakte Darmfunktion große Bedeutung hat für die Gesundheit des gesamten Organismus.

Dozenten und Autoren ATM - Autorin Dr. med. vet. Silke Stricker

Dr. med. vet. Silke Stricker

Dr. med. vet. Silke Stricker ist seit 2012 niedergelassene Tierärztin in Lehrte und hat zusätzlich Anfang der 90er Jahre ihre Ausbildung zur Tierheilpraktikerin absolviert. 12 Jahre Erfahrung in humanmedizinischen Speziallaboren mit Schwerpunkt Darmflora und Mikrobiom komplettieren ihren reichen Erfahrungsschatz. Denn vor allem der Darm und seine Bewohner wecken in der Therapie ihre besondere Begeisterung.

Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Regulationstherapie, der Darmsanierung, der Phytotherapie und der Homöopathie. Es fasziniert sie immer wieder, wie „austherapierte“ Patienten von regulativen Maßnahmen und einer ganzheitlichen Betrachtungsweise profitieren können.

Seit 2020 ist sie Teil des Dozententeams der ATM. Komplexe Sachverhalte verständlich und im übergeordneten Zusammenhang darzustellen, sind ihr beim Unterrichten ein großes Anliegen.

Frau Dr. Stricker verfasst u.a. auch Fachartikel für das Jahrbuch der Clemens-von-Bönninghausen-Gesellschaft und für das medizinisch-wissenschaftliche Magazin „OM & Tiergesundheit“. In 2021 erscheint ihre erste wissenschaftliche Publikation „Eine Allergie kommt selten allein“.

vethomoeopathik.com

Quellen

Fasano, A. Leaky gut and autoimmune diseases. Clin Rev Allergy Immunol 2012 Feb; 42(1):71-8
Machat, N. Das Mikrobiom im Tier – eine unbekannte Welt. Vet-Journal 4 /2020
Pilla R., Suchodolski J. S. The Role of the Canine Gut Microbiome and Metabolome in Health and Gastrointestinal Disease. Front Vet Sci, 2020; 6: 498
Rüffer A. Ein Leck im Darm entdecken. Zeitschr. f. Komplementärmed. 3/2018, 46-48
Rüffer, A et al. Ist der Darm noch dicht? Das Leaky-gut-Syndrom. Zeitschr. f. Komplementärmed. 4/2015, 10-13
Schmidt, R. Die mukosale Grenzfläche – Schutz und Stabilisierung durch Tight junctions, OM & Ernährung 2009, Nr. 128

Weiterführende Literatur:

Beckmann, G, Rüffer, A. Mikroökologie des Darmes. Labor L+S; 3. Auflage; 2019
Schmidt R, Schnitzler S. Allergie und Mikrobiota. 1. Aufl., Stuttgart, Haug-Verlag; 2018
Steiner, J. M. Gastroenterologie bei Hund und Katze. Schlütersche; 2010

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