Der Beruf Tierheilpraktiker

Was macht eigentlich ein
Tierheilpraktiker

Naturheilkunde ist facettenreich. Manche Verfahren sind nur „Insidern“ bekannt, andere einer breiten Öffentlichkeit. Nicht alle Therapien basieren auf dem Einsatz naturheilkundlicher Arzneimittel. Neben Homöopathie, Phyto- oder Aromatherapie gibt es beispielsweise Bioresonanztherapie, Akupunktur und Humoralverfahren, Kinesiologie und Thermoregulationstherapie, Ordnungs- und Magnetfeldtherapie, Reflexologie. Einige Verfahren nutzen modernste Gerätetechnik. Die Vielzahl an Therapien, Methodiken und Hilfsmitteln zu beherrschen und anwenden zu können, verlangt von angehenden Tierheilpraktikern, sich umfassendes tiermedizinisches und naturheilkundliches Wissen anzueignen.

Aus dem Praxis-Alltag einer Heilpraktikerin für Kleintiere

Sprechstunde in der Tierheilpraxis von Bettina Gutkauf in Nürnberg. Der erste Patient an diesem Morgen ist auch gleich ein kleiner Notfall: Balou, Jack Russel Mix und Spring-ins-Feld, hat Durchfall – richtig Durchfall –, und das ständig. Besitzerin Nanna Metzger weiß nicht mehr weiter. Sie spürt, dass Balou leidet und war auch schon beim Tierarzt. Aber wieder und wieder Tabletten und Spritzen haben sie skeptisch werden lassen. Zumal sich der Durchfall jedes Mal ganz zuverlässig zurückmeldete, schon nach kurzer Zeit. „Ich habe mich dann einfach mal ans Internet gesetzt und recherchiert. Und irgendwann war mir klar: Ich gehe jetzt mit Balou zum Tierheilpraktiker.“ Bettina Gutkaufs Homepage war schnell ausfindig gemacht, der Termin kurzfristig eingeschoben.

Tierbesitzer sind um ihre Tiere ebenso besorgt wie um ihre Kinder

Nanna Metzger ist eine ganz typische Vertreterin von Bettina Gutkaufs Kundenkreis: klug, kritisch und ausgezeichnet informiert über die Krankheit ihres Tieres und infrage kommende Therapien. „Heutige Tierhalter sehen sich eher als Sozialpartner denn als Besitzer ihrer Vierbeiner“, meint Gutkauf. „Sie sind um ihre Tiere ebenso besorgt wie um ihre Kinder. Sie wollen wissen, was eine Erkrankung bedeutet. Und ihre Tiere auch vor Behandlungsfehlern schützen.“

Bettina Gutkauf ist froh über so viel Anspruch, denn Tierheilpraktiker ist kein geschützter Begriff, und manche „Kollegen“ praktizieren ohne ausreichende Qualifikation. „Manchmal stellen Kunden so komplexe Fragen, dass ich froh bin, dass ich an der ATM so viel lernen musste. Sonst könnte ich diese Fragen nicht beantworten.“

Weil Balou zum ersten Mal in ihrer Praxis ist, steht zunächst eine ausführliche Anamnese auf dem Programm. „In der Naturheilkunde spielt die jeweilige Erkrankung als solche eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist, wie sich der Organismus des Individuums zur Krankheit verhält.“ Darin liege der Unterschied zur klassischen Tiermedizin, so Gutkauf.

Fahnden und Forschen, Nachdenken und Prüfen bei jedem Patienten …

Diese behandle eine Krankheit unabhängig vom Individuum. „Deshalb verschreibt der Tierarzt Patienten mit einer bestimmten Erkrankung immer dasselbe Medikament. Er behandelt die Erkrankung als solche. In der Naturheilkunde macht man das nicht. Hier behandelt man das Individuum. Deshalb ist es oft so, dass Patienten ganz unterschiedliche Therapien brauchen, auch wenn alle dieselbe Krankheit haben.“ Das Fahnden und Forschen, Nachdenken und Prüfen, das notwendig ist, um für jeden Patienten zu finden, was ihn gesund macht, fasziniert Bettina Gutkauf bei ihrer Arbeit am meisten.

„Das ist so spannend“, sagt die gebürtige Österreicherin mit einem Blick auf Balou. „Gerade, weil uns die Naturheilkunde nicht nur Medikamente zur Behandlung von Erkrankungen an die Hand gibt. Uns Tierheilpraktikern steht mit Akupunktur, Kinesiologie, Bioresonanz-, Magnetfeld- oder Aromatherapie und weiteren Methoden ein ganzer Kanon an Therapiemöglichkeiten zur Verfügung – aus denen wir schöpfen können.“

In Balous Fall kann der Durchfall mehr als drei Dutzend Ursachen haben

Balou beispielsweise könnte eine Farblichttherapie ebenso helfen wie Homöopathie oder Akupunktur, daneben kommen viele weitere Verfahren in Betracht. Für welche Therapie sich ein Tierheilpraktiker im Einzelfall entscheidet, hängt von der Diagnose ab, die er stellt. „In Balous Fall kann der Durchfall mehr als drei Dutzend Ursachen haben“, verrät Bettina Gutkauf.

„Eine Erkrankung der Bauchspeicheldrüse beispielsweise kommt ebenso in Betracht wie Colitis, eine Allergie oder ein parasitärer Befall vor allem mit Kokzidien und Giardien oder ein durch Maldigestion verursachter osmotischer Durchfall.“ Maldigestion bedeutet, dass der Organismus die aufgenommene Nahrung nicht oder nur unzureichend aufspalten und aufnehmen kann. „Nur wenn ich weiß, was ich behandle, kann ich Prognosen stellen und eine einschlägige Therapie wählen“, sagt Bettina Gutkauf.

Seit mittlerweile 3 Jahren führt sie ihre Praxis und lernt noch immer mit jedem neuen Patienten hinzu, gewinnt an Erfahrung. Das gilt auch für Balou. „Es wäre verlockend und naheliegend, mich in Bezug auf Balous Durchfall beispielsweise von einer Diagnose Kryptosporidose verführen zu lassen und antiparasitär zu therapieren.

„Die Herausforderung für mich als Naturheilkundlerin ist jedoch, genau darauf nicht hereinzufallen. Sondern mit entsprechend geeigneten Methoden die Resistenz des Hundeorganismus zu stärken bzw. wiederherzustellen.“ Gelinge das, werde Balou gesund, Bakterien, Parasiten oder was auch immer hin oder her. Bei Durchfallerkrankungen gibt es zahlreiche therapeutische Möglichkeiten, um auf die Darmschleimhaut Einfluss zu nehmen und den Durchfall zu ‚beseitigen‘.

Zuvorderst das „Gesund-Werden“ ins Auge fassen…

Bedient sich ein Tierheilpraktiker dabei suppressiver, substitutioneller oder kausaler Therapien, macht er dasselbe wie der Tierarzt: Er unterdrückt Symptome, führt so aber eben keine Heilung herbei. Und: Er betreibt eigentlich klassische Schulmedizin unter dem Deckmantel der Tierheilpraktik. Wer sich für sein Tier wirklich eine naturheilkundliche Behandlung wünsche, solle sich von seiner Fokussierung auf das Problem beispielsweise des „Durchfall-Beseitigens“ lösen und zuvorderst das „Gesund-Werden“ ins Auge fassen, empfiehlt Bettina Gutkauf. Stelle sich im Verlauf der Therapie Gesundheit ein, verschwinde auch ein Durchfall von ganz allein.

„Naturheilkunde macht nur Sinn, wenn sie der Schulmedizin als eigenes medizinisches Paradigma mit seinen ganz spezifischen Denk- und Vorgehensweisen Alternativen bietet“, sagt die Tierheilpraktikerin. Ob Tierbesitzer manchmal mit ganz konkreten Vorstellungen zu ihr kommen und gezielt eine bestimmte Therapie verlangen? „Kaum“, sagt Bettina Gutkauf. „Selbst wenn Kunden persönlich eine bestimmte Methode bevorzugen, weil sie sie vielleicht aus eigener Erfahrung kennen oder davon gehört haben, überlassen sie mir die Wahl. Es kommt recht häufig vor, dass gezielt der Einsatz von Akupunktur oder Homöopathie erwartet wird. Empfehle ich im Einzelfall dann aber beispielsweise Bioresonanz-, Farblicht- oder Aromatherapie, zeigen sich die Kunden gleichermaßen offen dafür.“

So auch Nanna Metzger. Als Bettina Gutkauf ihr für den hibbeligen Balou eine Farblichttherapie vorschlägt, ist sie begeistert. Sie weiß: Auch Stress kann Durchfall verursachen. Zusätzlich soll Balou homöopathisch behandelt werden. Die Mittelfindung verschiebt die Tierheilpraktierin allerdings. „Das Repertorisieren ist aufwändig, dafür brauche ich Zeit und Ruhe. Außerdem ist der nächste Patient sicher gleich da“.

Spezialistin für Pferde

Während sich Bettina Gutkauf in Nürnberg ihrem nächsten Patienten widmet, packt Tierheilpraktikerin Isabella Nill 800 Kilometer weiter südlich in der Nähe von München ihre Utensilien für die Akupunkturbehandlung einer Quarter Horse-Stute aus. Bei ihr sind im Rahmen einer tierärztlichen Blutuntersuchung zu hohe Muskelwerte festgestellt worden. Auf das Problem aufmerksam wurden die Besitzer, weil die Stute eine ausgeprägte Leistungsschwäche mit Dyspnoe (Atemlosigkeit) und starkem Schwitzen zeigte.

Die Fähigkeit, mit den Händen ins Tier hinein zu spüren, kann kein Gerät ersetzen.

Unter Nills Arbeitsutensilien befindet sich auch ein kleiner Kasten. Sie sucht nach einer Steckdose im Pferdestall und schließt den Kasten daran an. „Mit diesem Gerät kann ich meine Tastbefunde überprüfen – das gibt mir mehr Sicherheit, vor allem bei schwierigen Fällen“, sagt sie. „Die Fähigkeit, mit den Händen und Fingerspitzen zu sehen und ins Tier hinein zu spüren, kann jedoch kein Gerät ersetzen. Dessen muss man sich als Tierheilpraktikerin bewusst sein.“ Bei Nill bestimmt der individuelle Einzelfall, ob und wieviel Technik zum Einsatz kommt.

Der Puls der Stute ist schnell und dünn, die Zungenspitze erscheint rot. Das Schwitzen findet vor allem nachts statt. „Für die Akupunktur lautet die Diagnose ‚Herz Yin Leere‘“, sagt Nill. Nach der Palpation entscheidet sie sich dafür, die Akupunkturpunkte He7 und Pe6 zu stimulieren.

Das Behandlungskonzept der Akupunktur beruht auf dem Energiefluss des Körpers in bestimmten Leitbahnen. Diese werden als Meridiane bezeichnet. Sie verlaufen über den gesamten Körper sowohl beim Tier als auch beim Menschen. Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) geht davon aus, dass ein Körper erkrankt, wenn der Energiefluss in den Meridianen gestört ist.

Isabella Nill fand durch ihre Tochter zur Naturheilkunde. „Sie war als Kleinkind lange Zeit sehr krank. Die Schulmedizin konnte ihr nicht helfen, und sie wurde als austherapiert entlassen.“ Erst eine heilpraktische Behandlung hatte Erfolg. „Ich war so begeistert. Und weil ich mich schon immer für Heilkunde und besonders auch für Tiere interessierte, dachte ich, dass es das, was meiner Tochter so geholfen hatte, auch für Tiere geben musste.“

Nach ihrer Ausbildung an der ATM sammelte Nill praktische Erfahrungen bei ihren eigenen und den Pferden von Stallkollegen sowie im Rahmen von Hospitationen bei Kollegen. „Ich habe mir Zeit gelassen für die Niederlassung und um Routine im Beruf zu bekommen“, erinnert sie sich. „Die Niederlassung selbst war ganz unkompliziert: Gewerbeschein, Finanzamt, Veterinärbehörde, Arzneimittelüberwachungstelle – das war alles. An der ATM gab es dazu aber auch Vorbereitungsseminare.“

Auch Tierheilpraktiker bedienen sich aufwändiger Technik.

Was bedeutet Naturheilkunde für sie? „Der Begriff wird leider sehr unpräzise gebraucht und häufig als etwas missverstanden, das der klassischen Tiermedizin zuwiderläuft“, sagt Isabella Nill. „Doch schauen Sie sich die therapeutische Vielfalt an, die einem Tierheilpraktiker zur Verfügung steht. Das, was man gemeinhin unter ‚natürlichen Mitteln‘ versteht, macht dabei nur einen Teil der Methodenvielfalt aus.“

Auch Tierheilpraktiker bedienen sich aufwändiger Technik, man denke nur an Bioresonanztherapie, Vegatest, Nichtlineare Systeme oder Lasertherapie. „Mit Natur hat das zwar sicher nichts zu tun – aber die Systeme wirken im Sinne und auf der Basis der naturheilkundlichen Methoden und Paradigmen. Sie verlangen weder Substitution noch den Antagonismus oder die Kausaltherapie der Schulmedizin. Sie wenden sich an die Regulationskräfte des Organismus und arbeiten nach einer Methodik, die gänzlich losgelöst und unabhängig ist von der klassischen Tiermedizin. Und als solche werden sie sich auch weiterentwickeln.“ Die Naturheilkunde wird immer als eigenständiger Zweig neben der klassischen Tiermedizin bestehen, ist Isabella Nill überzeugt.

Es hat angefangen zu nieseln. Im Fell der Quarter Horse-Stute haben sich kleine Wassertropfen an die Haare gehängt. Dösend hat das Pferd mit seinen Nadeln die gesamte Akupunktur-„Sitzung“ hindurch unangebunden vor dem Stall gestanden. „Viele Pferde reagieren so auf die Behandlung“, bemerkt Isabella Nill. „Oft werden mir Fälle vorgestellt, in denen die Schulmedizin nichts oder nichts mehr ausrichten kann“, sagt sie, als sie die Nadeln behutsam entfernt.

Es erfüllt mich mit Freude, dass ich in meinem Beruf vielen Tieren helfen kann

Oft gelingt das Isabella Nill auch bei solchen Tierpatienten, die ihr als austherapiert vorgestellt werden. „Es ist schön, die Besitzer wieder glücklich zu sehen. Das gelingt mir zwar nicht immer. Aber häufig!“

Tierheilpraktiker Video – Aus dem Praxis-Alltag

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