Das Equine Cushing-Syndrom (ECS)
Das Equine Cushing-Syndrom (ECS) ist auch bekannt als Equiner Hyperadrenocortizismus oder Dysfunktion der Pars intermedia (DPI) der Hypophyse des Pferdes. Diese Krankheit ist eine bedeutende Endokrinopathie bei Ponys und Großpferden. Dieser langsam fortschreitenden Funktionsstörung liegt ein Überangebot von endogenem Cortisol (hypophysärer/adrenaler Cushing) oder exogen zugeführten Glucocorticoid (iatrogener Cushing) zugrunde (Sommer 2003, Diavet 2005, Dietz und Huskamp 2006).
Pars intermedia
Die Hypophyse (Hirnanhangsdrüse) setzt sich aus zwei embryologisch unterschiedlichen Anteilen zusammen: – Neurohypophyse – Adenohypophyse Die Neurohypophyse ist eine neurale Ausstülpung des Hypothalamus und setzt sich aus dem Hypophysenstiel und dem Hinterlappen zusammen. Die Adenohypophyse entwickelt sich aus dem Epithel des dorsalen Rachendachs und wird zum Vorderlappen der Hypophyse. Der zur Adenohypophyse zugehörige Zwischenlappen (pars intermedia adenohypophysis) schiebt sich zwischen Vorder- und Hinterlappen. Der Zwischenlappen umgreift bei Katze, Hund und Pferd die Neurohypophyse (König und Liebich 2009).
Ätiologie
Ursachen des erhöhten Glucocorticoidspiegels:
1. Nebennierenrinden-Adenome und -Karzinome
adrenalers/primärers Cushing-Syndrom
Das adrenale Cushing-Syndrom beruht auf einer Funktionsstörung der Nebennierenrinde, jedoch kommt diese Form des Cushings beim Pferd sehr selten vor (Sommer 2003).
2. Hypophysenadenome, -karzinome, noduläre (lat. nodus – Knoten; knotenförmig) Hyperplasien und ektopische (griech. ektos – außen, topos – Ort; nicht am physiologischen Ort) ACTH-produzierende Tumore (ACTH – Adrenocorticotropes Hormon)
hypophysärer/sekundärer Cushing
Beim Equinen Cushing-Syndrom handelt es sich fast ausschließlich um hypophysäres Cushing. Die übermäßige ACTH-Sekretion lässt sich vor allem auf Mikro-/Markroadenome der Pars intermedia zurückführen. Ektopische ACTH-produzierende Tumore wurden beim Menschen und dem Hund beschrieben (Sommer 2003). Durch tumoröse Entartung der melanotropen Zellen der Pars intermedia erfolgt eine übermäßige Produktion an ACTH und als Folge eine Hypertrophie (Größenzunahme eines Organs, Gewebe) der Nebennierenrinde. Dies wiederum ist Grund für eine gestörte Cortisol-Sekretion. Die entarteten melanotropen Zellen haben keine Kortisolrezeptoren und dadurch wird kein negatives Feedback in der Hypophyse erzeugt. Die ACTH-Bildung wird auf physiologischem Weg nicht unterdrückt und kontrolliert. Die Sekretion von ACTH kann bei einer Dysfunktion der Pars intermedia gegenüber einem gesunden Pferd bis zu 600-fach erhöht sein (Brüns 2001, Sommer 2003, Diavet 2005).
3. Gabe hoher Dosen von synthetischem ACTH oder exogen zugeführten Glucocorticoideniatrogener/tertiärer Cushing
Diese Form des Cushings wird beim Pferd vor allem im Zusammenhang mit der übermäßigen Gabe von Triamcinolon-Acetonid erwähnt (Sommer 2003). Cortisolwirkung – Antagonist („Gegenspieler“) von Insulin – hat dadurch eine wichtige Position in der Glukoneogenese (Produktion von Glukose aus Eiweiß und Fett) – geschieht vorwiegend in der Leber – bewirkt somit den Anstieg des Blutzuckerspiegels – fördert die Lipolyse – wirkt katabol (den Abbau betreffend) auf den Eiweißstoffwechsel – beeinflusst das Entzündungsgeschehen – Immunreaktion des Körpers Somit wirkt Cortisol auf: – Kohlenhydratstoffwechsel – Proteinstoffwechsel – Fettstoffwechsel – Immunsystem (Diavet 2005)
Klinische Symptome und Laborparameter
1. Hirsutismus
Das Fell ist zumeist besonders lang, wellig-zottig und besitzt eine übermäßige Länge. Der Fellwechsel im Frühjahr erfolgt meist unvollständig oder stark verzögert. Oftmals findet zu Beginn der Erkrankung nur eine lokale Haarlängenzunahme im Bereich des Unterkiefers, der Ganaschen, des Unterbauches oder distal auf den Gliedmaßen statt. Die übermäßige Länge des Fells am gesamten Körper tritt oft erst nach Jahren auf. Die Pathogenese ist unklar, jedoch wird dieses Symptom als das Kardinalssymptom des Equinen Cushing-Syndroms bezeichnet (Brüns 2001, Sommer 2003, Diavet 2005, Dietz und Huskamp 2006).
2. Hufrehe
Die Hufrehe ist eines der häufigsten klinischen Symptome. Diese äußert sich durch einen klammen Gang und Empfindlichkeit bei Bewegung auf hartem Boden. Röntgenologisch lassen sich geringgradige Hufbeinrotationen und Senkungen des Hufbeins feststellen. Es findet eine Verbreiterung der weißen Linie und eine Abflachung der Sohle statt. Die Reheschübe können sich häufen und ohne ersichtlichen Grund erschweren (Sommer 2003, Dietz und Huskamp 2006).
3. Polydipsie und Polyurie
Häufig wird in der Literatur auch eine Polydipsie (gesteigerter Durst) verursacht durch eine Polyurie (erhöhte Urinausscheidung, Überschreiten der physiologischen Urinmenge), beschrieben. Diese Erscheinungen werden zumeist im Zusammenhang mit einem sekundären Diabetes mellitus (Stoffwechselerkrankung, die durch erhöhte Blutzuckerwerte charakterisiert ist) erwähnt (Sommer 2003, Dietz und Huskamp 2006).
4. Muskelabbau/Muskelatrophie, Muskelschwäche
Die Abnahme der Muskulatur ist vor allem an der Hinterhand und am Rücken zu bemerken. Es treten der Tuber coxae sowie der Tuber sacrum hervor. Demzufolge kommt es zu einem Gewichtsverlust und der Ausbildung eines Senkrückens. Außerdem ermüden die Tiere bei körperlicher Belastung schneller (Diavet 2005, Dietz und Huskamp 2006).
5. Immunsuppression
Aufgrund der Immunssuppression können folgende Erkrankungen gehäuft beobachtet werden: – Pyodermien (durch Eitererreger hervorgerufene Hauterkrankungen) – Pilzinfektionen – chronisch rezidivierende Infektionserkrankungen (Konjunktivitis, Zystitis, sekundäre Sinusitis mit eitrigem Nasenausfluss) (Brüns 2001, Sommer 2003, Dietz und Huskamp 2006)
6. Umverteilung des Körperfettes
Bei länger andauernder Erkrankung kommt es beim Equinem Cushing-Syndrom zu einer abnormalen Fettverteilung und somit zu einer Exterieurveränderung. Das Körperfett wird an untypischen Körperregionen wie z.B. im Nacken, am Hals und im Bereich der Kruppe abgelagert. Außerdem entsteht ein Hängebauch, der beim Pferd auch als „Weidebauch“ bezeichnet wird (Brüns 2001, Sommer 2003, Dietz und Huskamp 2006).
7. weitere Symptome
– verzögerte Wund- und Narbenheilung
– aufgrund des raumfordernden Adenoms der Pars intermedia kann das Chiasma opticum komprimiert werden und es kann zu einer Veränderung der Sehkraft kommen (Druckatrophie auf das ZNS, den Sehnerv, die Blutversorgung und die Innervation des Chiasma opticum).
– Epiphora (Tränenfluss, „Tränenträufeln“)
– Lethargie
– Lahmheit
– Zahnprobleme
– Fertilitätsstörungen
– Mineralisierungsprobleme (Spontanfrakturen, Zahnverluste)
– Schwäche, Leistungsinsuffizienz
(Brüns 2001, Sommer 2003, Dietz und Huskamp 2006)
Laborparameter
Oftmals ist durch einen Laborbefund eine Hyperglykämie (zu hoher Blutzuckerspiegel) und eine Hyperinsulinämie (zu hohe Insulin-Konzentration im Blut) nachzuweisen. Dies wiederum ist auf den diabetogenen Effekt der Glucocorticoide zurückzuführen. Außerdem kann aufgrund der immunsuppressiven Wirkung des Glucocorticoids eine Lymphopenie (Mangel an Lymphozyten im Blut), eine Eosinopenie (Verminderung der eosinophilen Granulozyten im Blut) und eine relative oder absolute Neutrophilie (Anstieg der Anzahl an neutrophilen Granulozyten im Blut) im weißen Blutbild erkennbar sein. In einigen Fällen wird auch eine leichte Anämie beschrieben. Mit dem Equinen Cushing-Syndrom kann mit einer Fettinfiltration in die Leber einhergehen und somit zeigen sich erhöhte Leberwerte im Plasma. Folgende Werte sind erhöht: AST, CK, AP, γ-GT (Brüns 2001, Sommer 2003, Diavet 2005, Dietz und Huskamp 2006).
Diagnostik
Die alleinige Messung des Kortisolwertes reicht zur Diagnosestellung nicht aus, da dieser Wert aufgrund starker Schwankungen zu ungenau wäre. Es gibt verschiedene endokinologische Funktionstests:
– Dexamethason-Suppressionstest
– TRH-Stimulationstest
– ACTH-Stimulationstest
– Kombinierter Demamethason-Suppressions- und ACTH-Stimulationstest
– Glukosetoleranztest
– Insulintoleranztest
(Dietz und Huskamp 2006)
Der Dexamethason-Suppressionstest wird in der Literatur als der sicherste Test beschrieben und soll nun im Rahmen dieser Arbeit vorgestellt werden. Dietz und Huskamp (2006) beschreiben alle anderen Testverfahren als unsicher, da es oft zu Überlappungen der ermittelten Werte von gesunden und kranken Tieren kommt. Der Dexamethason-Suppressionstest, auch bezeichnet als Overnight-Dexamethason-Suppressionstest oder „Über-Nacht“-Dexamethason-Suppressionstest, gilt heute als das Verfahren der Wahl zur Diagnostik des Equinen Cushing-Syndroms (Brüns 2003, Dietz und Huskamp 2006). Durchführung: – Blutprobenentnahme zur Bestimmung des Basal-Cortisolwertes – unmittelbar anschließend um 17:00 Dexamethason-Injektion (0,04 mg/kg KGW) – eine zweite und dritte Blutprobe werden dann nach 15 bzw. 19 Stunden (am nächsten Tag, 8:00 bzw. 12:00) entnommen – Suppressionswerte werden bestimmt Gesunde Pferde supprimieren auf einen Kortisolbereich von 1-0,5 µg/dl, jedoch kann ein Pferd, das unter dem Cushing-Syndrom leidet, nicht solche niedrige Werte ausprägen. Der Wert liegt zumeist über 1,0 µg/dl (Brüns 2001, Diavet 2005, Dietz und Huskamp 2006).
Differentialdiagnosen
Ein vergleichbares äußeres Erscheinungsbild (Muskelabbau, schlechtes Haarkleid,…) kann auch bei einer Unterernährung, Nierenerkrankung, chronischer Debilitation, Kaustörungen oder Parasitenbefall auftreten. Auch bei einem Diabetes mellitus kann eine Hyperglykämie, Polyurie/Polydipsie und eine Abmagerung auftreten. Dies kann jedoch durch einen Insulintoleranztest abgegrenzt werden. Bei immer wiederkehrender Hufrehe kann das Equine Cushing-Syndrom mittels eines endokrinologischen Funktionstests ausgeschlossen werden, sodass nach anderen Ursachen gesucht werden (Sommer 2003).
Therapie
Es werden zwei medikamentöse Therapien, die als sinnvoll beim Pferd erachtet werden, beschrieben:
1. Dopamin-Agonisten
Pergolid (Permax ®, Parkotil ®) wird anfänglich mit einer Tagesdosis von 0,5mg/400-500kg KGW täglich per os empfohlen. Die tägliche Erhaltungsdosis eines Pferdes liegt bei 2 bis 3mg bzw. 1mg bei einem Pony. In der Literatur werden bei empfohlener Dosis keine Nebenwirkungen beschrieben. Ein weiterer Dopamin-Agonist ist Bromocriptin (Pravidel ®), der in einer täglichen Dosis von 0,02mg/kg KGW, oral oder parenteral verabreicht, empfohlen wird. Bei einer zu hohen Dosierung kann es zu Nebenwirkungen kommen. Der Behandlungserfolg der beiden Medikamente ist bereits nach vier Wochen sichtbar, jedoch ist diese Form der Therapie eine sehr teure und muss lebenslang durchgeführt werden (Sommer 2003, Diavet 2005).
2. Serotonin-Antagonisten
Cyproheptadin (Nuran ®, Periactinol ®) per os täglich in einer Dosierung von 0,13 -0,26mg/kg KGW verabreicht. Diese Form der Therapie stellt eine Alternative zu den Dopamin-Agonisten dar, da dies eine billigere Behandlungsmethode ist. Die Besserung der klinischen Symptome wird in der Literatur erst nach sechs bis acht Wochen beschrieben (Sommer 2003, Diavet 2005).
Managementempfehlungen
Scheren des Fells
bei rezidivierenden Reheschüben: Rehebeschlag, Rehebehandlung
bei schmerzhaftem Prozess: Analgetika
Diese Erkrankung kann nur der Tierarzt behandeln, jedoch kann der Tierheilpraktiker dem Pferdebesitzer in einer beratenden Funktion zur Seite stehen. Der Tierheilpraktiker hat einerseits eine aufklärende Funktion, andererseits kann er dem Pferdebesitzer bezüglich der Folgeerscheinungen dieser Erkrankung mit Rat und Tat zur Seite stehen.
Prognose
Die Prognose ist eher ungünstig, wenn bereits eine deutliche Hyperglykämie vorhanden ist. Ist dem nicht so, so können Equine Cushing-Syndrom-Patienten bei einer passenden Behandlung und Vermeidung von zusätzlichen Komplikationen mehrere Jahre leben und in eingeschränktem Ausmaß bewegt werden (Sommer 2003).
Fallbeschreibung: Vindur, 25-jähriger dunkelbrauner Isländer-Wallach
Die Besitzer bemerkten vor etwa zehn Jahren, dass Vindur auf der Kruppe, aber auch am Kopf lockiges Fell bekam. Durch eine Bekannte, die ein Cushing-Pferd besaß, wurden sie aufmerksam auf diese Erkrankung. Vindur wurde mittels ACTH-Basalwertmessung auf das Equine Cushing-Syndrom getestet, jedoch ohne positiven Befund. Bei diesem Testverfahren wird eine Blutprobe aus der Vena jugularis entnommen, zentrifugiert und tiefgefroren. Das Labor Vetscreen benötigt für die ACTH-Wert-Bestimmung ein EDTA-Plasma, das innerhalb der ersten 20 Minuten nach der Abnahme zentrifugiert werden muss. Anschließend wird die Probe gekühlt ins Labor geschickt und der ACTH-Wert bestimmt. In der Literatur wird der ACTH-Wert eines gesunden Pferdes zwischen 18,7 und 40pg/ml angegeben. Das Labor Vetscreen beschreibt den Normalwert zwischen 20-50pg/ml. Pferde, die am Equinen Cushing-Syndrom leiden, zeigen einen deutlich erhöhten ACTH-Wert. Hier werden in der Fachliteratur Werte zwischen 110 und 1000pg/ml angegeben (Sommer 2003). Drei Jahre später, im April 2000, wurde Vindur erneut getestet und das Equine Cushing-Syndrom festgestellt. Die ACTH-Messung ergab ein Testergebnis von 301pg/ml.
ATM Akademie
Die ATM vermittelt ein solides Basiswissen in der klassischen Schulmedizin, eine Voraussetzung für jeden Gesundheitsberuf. Die Referenten sind Hochschuldozenten, Fachtierärzte und Humanmediziner mit erheblicher Praxiserfahrung, Tierpsychologen, Biologen und Apotheker. Erfahrene Heilpraktiker sowie anerkannte Experten aus dem Bereich der Naturheilkunde führen die Praktika im Schulungszentrum Bad Bramstedt durch.