Während wir Menschen uns darauf freuen, das neue Jahr mit einem großen Feuerwerk willkommen zu heißen, haben unsere tierischen Mitbewohner wenig Freude an dem „großen Knall“, den ihre Menschen an Silvester veranstalten. Seitdem Feuerwerkskörper wieder vor dem Jahresende im Handel erworben werden können, sind unsere Tiere schon Tage vor dem eigentlichen Silvesterfeuerwerk mit unverhofft auftretenden lauten Geräuschen konfrontiert. Direkt vor Silvester ist für ängstliche Tiere meist nur noch eine “Notfallversorgung” über Medikamente möglich, um ihnen den Tag des Jahreswechsels erträglicher zu machen. Wir stellen Ihnen hier eine Auswahl an Wirkstoffen vor.
Kurz vor Silvester füllt sich die Tierarztpraxis wieder mit besorgten Hundebesitzern, deren Hunde zum Jahreswechsel mit Angst und Panik reagieren. JETZT kann die Angst aber nicht mehr mit Medikamenten therapiert, sondern nur noch gelindert werden. Nach eingehender Allgemeinuntersuchung und Anamnese muss ein passendes Medikament gewählt werden. Die Möglichkeiten gehen vom “sanften” Versuch bis hin zum Einsatz von starken Beruhigungsmitteln.
Pflanzliche Arzneistoffe
Die Phytotherapie bietet einige Möglichkeiten, um die Tage des Jahreswechsels für unsere Haustiere erträglicher zu machen. Beachtet werden muss aber, dass die Anwendung von Phytotherapeutika einige Zeit vor dem angstbringenden Termin gestartet werden muss. Eine einmalige Gabe an oder der Beginn der Gabe zwei Tage vor Silvester werden keinen Erfolg bringen. Die Auswahl eines phytotherapeutischen Mittels ist ausgesprochen individuell. Bitte beachten Sie unbedingt die Wirkstoffe der einzelnen Pflanzendroge und ob diese z.B. für den Hund angewendet werden kann. Die hier aufgeführten Pflanzendrogen sollen Ihnen eine Idee geben, das geeignete Mittel für Ihr Tier auszuwählen:
- Passionsblume: (Passionsblumenkraut ~ Passiflorae herba)
Der Name der Passionsblume (Passiflora incarnata) wird abgeleitet aus dem lateinischen „passio = leiden“ und „floris = Blume“. Die Indikation des Passionsblumenkrautes (Passiflora herbae) nach Kommission E sind die nervösen Unruhezustände mit Symptomen wie Einschlafstörungen, mangelnde Konzentration, motorische Störungen. Als Wirkmechanismus geht man von einer Hemmung der lokomotorischen Aktivität, hervorgerufen durch einen papaverinähnlichen Spasmolyseeffekt, aus. Wahrscheinlich binden die Inhaltsstoffe der Passionsblume an zentrale und periphere Benzodiazepinrezeptoren. Im experimentellen Tierversuch wurde auch die anxiolytische Wirkung bestätigt (Dissertation Schulze R. Rostock, 2005). - Lavendel: (Lavendelblüten ~ Lavandulae flos)
Der Lavendel kann u.a. eingesetzt werden bei Formen des psychischen Stresses, zur Förderung der Schlafbereitschaft und bei Unruhezuständen. Insbesondere der hohe Gehalt an ätherischen Ölen wirkt beruhigend auf das ZNS. Angewendet werden können, je nach Tierart, Lavendelblüten pur oder als Teeaufguss. Das ätherische Öl kann, sofern es die Tierart erlaubt und das Tier es zulässt, in Verbindung mit weiteren ätherischen Ölen, z.B. Melisse, Rosengeranie oder Sandelholz in einer Duftlampe angewendet werden. Weniger stark im Duft aber trotzdem stark in der Wirkung ist das Lavendelhydrolat. - Melisse: (Melissenblätter ~Melissae folium)
Wie der Lavendel gehört auch die Melisse zu den Pflanzen mit hohem Gehalt an ätherischem Öl. Die Melissenblätter als pure Droge oder als Teeaufguss helfen als sanftes Mittel bei Unruhezuständen und Stress. Als ätherisches Öl kann es in Verbindung mit Lavendel und/oder Rosengeranie in der Duftlampe angewendet werden. Auch die Melisse ist als Hydrolat erhältlich. - Hopfen: (Hopfenzapfen ~ Lupuli stobulus)
Die beruhigende und schlaffördernde Wirkung des Hopfens erfolgt über die Aktivierung des Melatoninrezeptors. Hopfen wirkt zentral sedierend und ist in Kombination mit Melissenblättern oder Baldrianwurzel noch effektiver. - Baldrian: (Baldrianwurzel ~ Valerianae radix)
Auch der Baldrian hat eine beruhigende und die Schlafbereitschaft fördernde Wirkung. Hervorgerufen durch das ätherische Öl, dass die GABA- und Benzodiazepin-Rezeptoren beeinflusst. Aber Achtung! Bei manchem Menschen / Tier sind paradoxe Reaktionen möglich, insbesondere bei zu niedriger Dosierung!
Adaptogen wirksame Pflanzendrogen:
Zu den adaptogen wirksamen Pflanzendrogen gehören z.B. die Taigawurzel, Rosenwurz oder Schisandra. Die adaptogenen Wirkungen werden zurückgeführt auf: neuroendokrine Beeinflussung des Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-System direkte Aktivierung detoxifizierender Enzymsysteme immunmodulatorische Mechanismen
Aminosäuren, Pheromone und Co
Medikamente mit bestimmten Aminosäuren wie dem Tryptophan werden auch in der Humanmedizin zur Bekämpfung von Depressionen eingesetzt. In der Veterinärmedizin stehen uns von ihnen verschiedene Produkte zur Verfügung und sind v.a. bei Silvesterangst einen Versuch wert. Aber auch diese müssen MINDESTENS eine Woche vorher – also ab Heiligabend – verabreicht werden.
Pheromone, also hormonähnliche Botenstoffe, in diesem Fall u.a. im Bereich der Gesäugeleiste von säugenden Muttertieren produziert, können (in künstlicher Form über Halsbänder oder Duftstecker appliziert) einen entspannenden Effekt auf Angstpatienten haben. Thunder-Shirts (enganliegende Bodies) sollen einen beruhigenden Effekt durch den sanften Druck auf dem gesamten Körper erzielen. Gut bewährt hat sich ein neues leicht sedierendes Gel, welches relativ kurzfristig und im Notfall auch mehrfach (bis zu fünf Mal) hintereinander vom Besitzer appliziert werden kann. Dies wird, nach Kilogramm dosiert, in die Backenschleimhaut gegeben und auch ausschließlich vom Tierarzt verordnet. Eine anfängliche Gabe wird verabreicht, wenn der Hund Anzeichen der Angst zeigt oder wenn der Besitzer einen typischen Stimulus wahrnimmt, z. B. die Geräusche bei einem Feuerwerk oder Gewitter. Wenn die Geräusche anhalten und der Hund wieder Anzeichen der Angst und Furcht zeigt, kann das Tierarzneimittel in Abständen von zwei Stunden erneut verabreicht werden. Der Wirkstoff Dexmedetomidin führt wie Detomidin zu einer ZNS-Depression (Dämpfung) mit Sedation (Dämmerschlaf) und Anxiolyse (Angstminderung), sowie einer Analgesie (Schmerzausschaltung) und Muskelrelaxation (Muskelerschlaffung). In höheren Dosen kann es – in Kombination mit anderen Mitteln – für kleinere chirurgische Eingriffe verwendet werden.
Sedativa und Hypnotika
Ein Sedativum oder Beruhigungsmittel ist ein Arzneimittel mit einer allgemein beruhigenden bzw. aktivitätsdämpfenden Wirkung. Es ist zur Ruhigstellung von Angstpatienten gut geeignet, da es auch mit steigender Dosis nicht zu einer Narkose führt. Hier besteht also nicht die Gefahr eines Atemstillstandes. Sedativa und Hypnotika (Schlafmittel) wirken in Abhängigkeit von der Dosis erst sedativ und dann hypnotisch auf das Aktivierungszentrum (Wach-System) in der Formatio reticularis des Gehirns. Die Formatio reticularis ist eines der großen Schaltzentren des Gehirns, dazu zählen u.a. das Kreislaufzentrum und das Wachzentrum.
Sedativa, v.a. Neuroleptika (besitzen dämpfende und antipsychotische Wirkung, “major tranquilizer”), werden häufig zur Ruhigstellung für Untersuchungen oder für Transporte verwendet. Die Wirkung der zentral dämpfend wirkenden Arzneimittel ist jedoch auch von der Tierart sowie vom Erregungszustand des Patienten zum Zeitpunkt der Verabreichung abhängig. So sind unter Umständen bei sehr erregten Tieren hohe Dosen zur Ruhigstellung notwendig. Bei Unruhezuständen und Angstzuständen können Sedativa die Unruhe lindern und zusätzlich im Idealfall die Distanzierung von den vorhandenen Ängsten bewirken, was aber nicht mit der gezielten Angstlösung, der so genannten Anxiolyse, verwechselt werden sollte.
Anxiolytika
Sollte es sich wirklich um eine starke Angststörung handeln, können sogenannte „Anxiolytika“ (= angstlösende Medikamente, lateinisch: anxietas – Angst und griechisch: lysis – Auflösung) helfen. Es handelt sich hierbei um Psychopharmaka, welche nur von einem Tierarzt – und dies verantwortungsbewusst – eingesetzt werden dürfen. Anxiolyse stellt den pharmakologischen Versuch dar, Ängste zu mindern oder gar zu unterdrücken.
Diese Medikamente sedieren nicht, der Hund ist bei vollem Bewusstsein. Die Anxiolyse ist jedoch nur kurzfristig eine befriedigende Lösung. Im Idealfall hilft es dem Hund, mit der Angst besser umzugehen und starke Panikattacken zu verhindern. Besser jedoch wäre eine Begleitung durch eine Verhaltenstherapie, die aber – wie schon erwähnt – zu diesem Zeitpunkt zu spät ist. Die stärksten Vertreter der Anxiolytika stellen die Benzodiazepine (Bsp. Diazepam – „Valium“) dar. Diazepam wird eher zur Kurzzeittherapie z.B. bei Krampfanfallen (Epilepsie) oder sehr starken Erregungszuständen verwendet. Zur Bekämpfung von Angstzuständen wie Trennungsangst, Gewitterangst oder eben Silvesterangst ist in der Veterinärmedizin der Wirkstoff Alprazolam seit einigen Jahren populär. Hier kann man sich als Tierarzt an Empfehlungen versierter Kollegen und Pharmakologen orientieren, generelle Schemata gibt es nicht. Es ist eine individuelle Anpassung und sowohl ein vorsichtiges Ein- und Ausschleichen nötig. Unter der Gabe von Anxiolytika kann es vereinzelt zu paradoxen Wirkungen kommen, wenn durch die Anxiolytika angstbedingte Barrikaden aufgehoben werden. Es kann sowohl sedierend als auch ZNS-erregend wirken. Der Besitzer sollte sich also im Klaren sein, dass jedes Medikament auch „unerwünschte“ Wirkungen zeigen kann: im Falle der Anxiolytika kann eine Hemmungslosigkeit des Hundes bis hin zum Verschwinden der sogenannten Beißhemmung entstehen. Trotzdem stellen sie bei einigen unserer „Paniker“ eine gute Möglichkeit dar, die Feiertage glimpflich zu überstehen
Anxiolytika brauchen eine gewisse Zeit zum Anfluten. Mindestens eine Woche vor dem Ereignis wird angefangen, das Medikament täglich zu steigern. Die Dosierungen sind dabei individuell unterschiedlich anzupassen. Ebenso müssen die Medikamente auch wieder ausgeschlichen werden und dürfen nicht plötzlich am 1. Januar abgesetzt werden. Bei einer längeren Gabe sind Abhängigkeiten möglich.
Zusätzliche Unterstützung
Wer die Stadt nicht verlassen kann, um der Knallerei komplett zu entgehen, sollte zumindest für Folgendes sorgen: Schaffen Sie einen Raum innerhalb der Wohnung oder des Hauses, welcher sich gut verdunkeln lässt, um die Lichter der Raketen „auszusperren“. Auch eine sichere Kiste oder eine Flugbox können helfen. Weiterhin können Sie den Fernseher oder ein Radio laut stellen, damit ein Teil der Knallerei übertönt wird. Die letzte Gassirunde findet optimalerweise lange vor dem Mitternachts-Feuerwerk statt.
An dieser Stelle möchten wir folgendes noch einmal betonen: Bitte verabreichen Sie keinem Hund mit Geräuschangst Acepromacin! Diese kleinen gelben Pillen, in der Vergangenheit gerne pauschal für jede Reise oder bei Silvesterangst verordnet, lähmen den Hund und fesseln ihn dadurch mit seiner Angst in seinem eigenen Körper. Für den Besitzer augenscheinlich „schön ruhig“, ist das eine Quälerei und verstärkt nur die Angst. Denn unter diesem Medikament erhöht sich sogar die Geräuschempfindlichkeit! Also, Finger weg!
Nach all diesen Ratschlägen wünschen wir eine schöne Vorweihnachtszeit, einen guten Rutsch ins neue Jahr und für alle Angstpatienten: ab Januar beginnt das Training 🙂
Dieser Artikel ist in Zusammenarbeit von Kerstin Pahlke und Jessica Firchow entstanden.
Dr. med. vet. Doris Börner
Frau Dr. med. vet. Börner hat sich in ihrer eigenen tierärztlichen Praxis IUVET vor allem auf die Behandlung von chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates und der neurologischen Rehabilitation nach Traumata bei Kleintieren und Pferden spezialisiert. Sie hat Abschlüsse in Tierchiropraktik (Certified Veterinary Chiropractor (IVCA)) und Tierakupunktur (Certified Veterinary Acupuncturist (Chi Institute Europe/IVAS)) und jahrzehntelange praktische Erfahrungen u.a. in den Bereichen Neurologie, Bewegungsapparat und Schmerztherapie.
Durch ihr Wissen und ihre Erfahrung aus klassischer Schulmedizin, Neurologie, Physiotherapie, Chiropraktik, Faszientechniken und Akupunktur und die Verbindung dieser Disziplinen behandelt sie insbesondere Bewegungsstörungen des Tieres mit einem integrativen Ansatz.
Dr. Börner ist bereits seit vielen Jahren Autorin für Fachbeiträge in Wissenschaftsjournalen, Fachzeitschriften und Tiermagazinen.