Jubel, Freudentänze, knallende Sektkorken und riesengroße Erleichterung bei allen Beteiligten: Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen unterliegen keinen Beschränkungen mehr in der Anwendung und Verordnung homöopathischer Mittel!
Das wurde am 29. September verfassungsgerichtlich entschieden und am 16. November öffentlich gemacht. Der Tierarztvorbehalt für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika bei Tieren, die nicht der Lebensmittelgewinnung dienen, sei verfassungswidrig. Damit wurde der eingereichten Verfassungsbeschwerde stattgegeben und Tierheilpraktiker können endlich aufatmen.
Wird ein Gesetz vom BVG für verfassungswidrig erklärt, dann ist es so, als hätte es dieses Gesetz nie gegeben. Alle Verfassungsorgane des Bundes und der Länder, alle Gerichte und Behörden sind an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes gebunden.
Der Hintergrund
Es gibt knapp 5000 Homöopathika, davon rund 2800 Komplexmittel. Mit nur sehr wenigen Ausnahmen sind alle Mittel Humanhomöopathika. Bis zum 27.1.2022 war Tierheilpraktikern uneingeschränkt erlaubt, Homöopathika für die Behandlung von Tieren einzusetzen, sofern die Tiere nicht zur Schlachtung bestimmt waren. Seit dem 28.1.2022 galt die Neufassung des Tierarzneimittelgesetzes (TAMG), die genau das verbot. Tierheilpraktiker und Tierhomöopathen durften nur noch solche Mittel einsetzen, die speziell für Tiere zugelassen sind. Das sind verschwindend wenige.
Die Verfassungsklage richtete sich konkret gegen §50, Absatz 2. Darin heißt es im Wortlaut:
„Tierhalterinnen und Tierhalter sowie andere Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, dürfen verschreibungspflichtige Tierarzneimittel und veterinärmedizintechnische Produkte sowie Arzneimittel nach § 2 Absatz 1, 2 und 3a des Arzneimittelgesetzes bei Tieren nur anwenden, soweit
- diese von einer Tierärztin oder einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind, bei der oder dem sich die Tiere in Behandlung befinden, und
- die Anwendung gemäß einer tierärztlichen Behandlungsanweisung, die die Tierärztin oder der Tierarzt für den betreffenden Fall ausgehändigt hat, erfolgt.“
Dieser Paragraph war das Berufsaus für Tierhomöopathen. Für Tierheilpraktiker, die bis dahin auch homöopathisch gearbeitet hatten, bedeutete das weitreichende Einschränkungen in der Behandlung ihrer Patienten. Unter §50 (2) fallende Arzneimittel – dazu zählen Homöopathika – durften von ihnen nicht mehr eingesetzt werden. Es sei denn, sie wären von einem Tierarzt damit beauftragt worden (Tierarztvorbehalt). Was, nebenbei bemerkt, besonders skurril ist, weil kaum ein Tierarzt in der korrekten Anwendung homöopathischer Mittel ausgebildet ist oder überhaupt ihre Wirksamkeit anerkennt. Was aber nicht Teil der Klage war.
Die Klage
Die Rechtsanwältin Daniela Müller und Jurist Dr. Oliver Herrmann von der Tierrechtsakademie sowie Andrzej Grafe von der ATM (Akademie für Tiernaturheilkunde und Tierphysiotherapie) entwickelten gemeinsam eine Strategie gegen das Quasi-Berufsverbot. Auf Basis dieser Strategie reichten die Rechtsanwälte schließlich Verfassungsbeschwerde ein. Kläger waren ein FNT-Mitglied und eine weitere Berufsgenossin. Dass die Klage vom BVG angenommen wurde, war schon ein Erfolg für sich.
Eine positive Entscheidung war trotzdem wenig wahrscheinlich. Nur 1,29 Prozent aller Verfassungsbeschwerden hatten 2021 Erfolg. Der Zehnjahresdurchschnitt liegt bei 1,85 Prozent. Von insgesamt 5.352 Eingängen beim BVG im Jahr 2021, 95 Prozent davon Verfassungsbeschwerden, waren gerade einmal 67 Beschwerden erfolgreich! Das geht aus der Jahresstatistik 2021 des Bundesverfassungsgerichts hervor. Kampflos aufgeben war dennoch keine Option. Wie war das noch mit der Hoffnung, die zuletzt stirbt? Und es hat sich gelohnt! Das Urteil pro Tierheilpraktiker ist ein sensationeller Erfolg, gerade weil so wenig Hoffnung bestand.
Die Begründung des Verfassungsgerichts
Die Kernaussage ist: Der mit dem Paragraph 50 Abs. 2 verbundene Eingriff in Grundrechte ist nicht verhältnismäßig und wird für nicht verfassungskonform erklärt.
In der Pressemitteilung zur Begründung des Urteils zugunsten der Kläger heißt es wörtlich:
“Dieser in § 50 Abs. 2 TAMG angeordnete Tierarztvorbehalt verletzt die Beschwerdeführerinnen in ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und – im Falle einer der Beschwerdeführerinnen, die zugleich Tierhalterin ist – in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), soweit die Vorschrift einen Tierarztvorbehalt auch für die Anwendung nicht verschreibungspflichtiger Humanhomöopathika vorsieht. Der damit verbundene Grundrechtseingriff ist nicht verhältnismäßig. Der Gesetzgeber hat vor dem Hintergrund, dass die Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung von Belangen des Tierschutzes und einer Schädigung der Gesundheit von Tier und Mensch als gering einzuschätzen ist und durch die Einführung einer Pflicht zum Nachweis theoretischer Kenntnisse im Bereich der Tierheilkunde weiter gemindert werden kann, keinen verfassungsrechtlich angemessenen Ausgleich vorgenommen.“ (Pressemitteilung Nr. 92/2022 v. 16.11.2022)
Was für ein toller Grund zum Feiern! „An dieser Stelle gilt auch noch einmal unser ausdrücklicher Dank dem Berufsverband FNT e.V, der ATM – Akademie für Tiernaturheilkunde, den an unseren Erhebungen teilnehmenden Tierheilpraktiker/innen (…). Nur gemeinsam konnten wir dieses Verfahren erfolgreich begleiten“ schreiben die Anwälte der Tierrechtsakademie in deren Facebook-Profil.
Der Dank der ATM gilt dem engagierten Einsatz der Anwälte, die sich nicht entmutigen ließen. Auch im Namen unserer Schüler, denen wir in der Tierheilpraktiker-Ausbildung jetzt wieder mit Freude unseren gesamten homöopathischen Wissensschatz zur Verfügung stellen.
Quellen
Bundesverfassungsgericht Jahresstatistik 2021
Beschluss BVG vom 29. September 2022