Darmerkrankung Leaky Gut: Folgen für Hund und Katze

Darmerkrankung Leaky Gut: Folgen für Hund und Katze (huoadg – Pixabay)

Der Darm leistet täglich Schwerstarbeit. Er löst aus allem, was an Nahrung zugeführt wird, die enthaltenen Nährstoffe heraus und stellt sie dem Körper zur Verfügung. Dabei muss er unterscheiden zwischen dem, was hineindarf, und dem, was als unverdaulich oder schädlich ausgeschieden werden muss. Wie zentral nicht nur seine Lage, sondern auch seine Rolle ist, wird meist erst bemerkt, wenn er nicht mehr richtig funktioniert. Bei einem Leaky Gut (gesprochen liki gatt) ist die natürliche Barriere zwischen Körper und Darm defekt und wird zunehmend durchlässig auch für schädliche Nahrungsinhalte. Betroffen sind sogenannte Tight Junctions (gesprochen teit dschanktschns), die bei einem gesunden Darm die Lücken zwischen den Zellen der Darmwand verschließen. Das hat weitreichende Konsequenzen, nicht nur für die Darmgesundheit.

Folgen eines undichten Darms

Die Tight Junctions verbinden normalerweise die Zellen der Darmwand so eng miteinander, dass die Kontaktstellen für „ungebetene Gäste“ undurchlässig werden. Bei einem Leaky Gut sind sie jedoch zum Teil beschädigt und dauerhaft geöffnet. Krankheitserreger, winzige unverdaute Futtermittelbestandteile und Schadstoffe können an diesen undichten Stellen unkontrolliert aus dem Darm in Blut- und Lymphgefäße übertreten. Das alarmiert das Immunsystem. In der Darmschleimhaut liegende Zellen beginnen Histamin auszuschütten und können damit allergieähnliche Symptome auslösen. Es kommt zu lokalen Entzündungsprozessen, die die Darmschleimhaut weiter schädigen und noch durchlässiger machen. Ein Kreislauf beginnt, in dessen Verlauf der Darm immer stärker beschädigt wird. Umgekehrt können aber auch Futtermittelallergien und -unverträglichkeiten Tight Junctions schädigen und so die Ursache eines Leaky Gut sein.

Nice to know: Tight junctions

Tight junctions sind feine Proteinbänder, die in manchen Geweben für eine sehr enge Verbindung zwischen Zellen sorgen und dadurch Zellzwischenräume verschließen. Der dadurch entstehende enge Zellverband ermöglicht den geregelten Durchlass von Molekülen an definierten Stellen. Die entsprechenden Gewebe, z.B. die Darmwand, erhalten dadurch eine Barrierefunktion (Diffusionsbarriere) und ermöglichen den kontrollierten, gerichteten Transport von Stoffen zwischen den Zellen, zum Beispiel aus der Nahrung.

Normalerweise wird der Körper über den Darm mit allem versorgt, was er braucht, eine entsprechende Ernährungslage vorausgesetzt: Wasser, Nährstoffe, Mineralien und Spurenelemente werden von Körperzellen aus dem Darm aufgenommen (resorbiert). Bei einem Leaky Gut ist dieser Vorgang gestört, die Versorgung verschlechtert sich. Dadurch kann es unter anderem zu einem latenten Mangel an Zink, Selen oder Magnesium kommen. Sie sind für viele Stoffwechselprozesse von zentraler Bedeutung und ein Mangel beeinträchtigt das Wohlbefinden und macht krank.

Ein Leaky Gut führt zur Fehlbesiedelung des Darms, mögliche Ursache für Erkrankungen (© Alex – stock.adobe.com)

Leaky Gut verursacht Veränderungen des Immunsystems

Ein Leaky Gut provoziert nicht nur Immunantworten, sondern verändert auch die Immunkompetenz. Der größte Teil des Immunsystems, etwa 80 Prozent, ist im Darm lokalisiert. Infolge eines Leaky Gut verschlechtert sich die Leistungsfähigkeit der Immunabwehr. Dadurch wird die Darmflora beeinträchtigt (Dysbiose) und Pilze wie Candida können sich unkontrolliert ausbreiten. Candida ist in der Lage, aktiv in das Immunsystem einzugreifen. Das begünstigt die Entwicklung von Allergien und es kommt zum übermäßigen Absterben von Darmbakterien wie Escherichia coli, Clostridien, Enterobacter oder Klebsiellen. Durch die defekten Tight Junctions eines Leaky Gut gelangen deren Zerfallsprodukte aus dem Darm zunächst ins Blut und verursachen schließlich im Körper Entzündungsreaktionen, was als Endotoxämie bezeichnet wird, eine Blutvergiftung, die nicht durch äußere Faktoren, sondern durch Prozesse im Körper selbst ausgelöst wird.

Das Immunsystem gerät nach und nach aus dem Gleichgewicht und wird dauerhaft fehlreguliert. Allergien können eine Folge davon sein. Für den Menschen nachgewiesen ist die Entwicklung von Antikörpern, die an die körpereigenen Schleimhäute passen, beispielsweise an die Gelenkschleimhäute. Dort können sie eine rheumatoide Arthritis auslösen. Ebenfalls belegt ist ein Zusammenhang mit Diabetes Typ 1 und Multipler Sklerose.

Tryptophan

Tryptophan ist ein wichtiger Baustein von Eiweißen, unter anderem in Muskeln und in Enzymen und muss mit der Nahrung aufgenommen werden. Über die Beteiligung an den Hormonen Serotonin und Melatonin beeinflusst Tryptophan Stimmung und Schlafqualität.

Ein Leaky Gut kann aber auch eine zu geringe Immunantwort nach sich ziehen. Das begünstigt die Entwicklung chronischer Infektionskrankheiten und die Entstehung von Tumoren. Und durch die ebenfalls gegebenen Auswirkungen auf den Tryptophan-Stoffwechsel entstehen weitere Immunblockaden, aber auch depressive Verstimmungen und Schlafstörungen. In der tiermedizinischen Praxis betrifft das oft die ängstlichen Hunde aus Importen, die zugleich unter chronischen Darmerkrankungen leiden. Die Schulmedizin kennt diese Barrierestörungen des Darmes, betrachtet jedoch nicht die weiteren Zusammenhänge.

Bei ängstlichen Hunden mit Darmerkrankungen sollte Leaky Gut in Betracht gezogen werden (© isakarakus – Pixabay)

Mit dem Leaky Gut assoziierte Krankheiten

Ist die Darmwand erst einmal undicht geworden – Leaky Gut bedeutet soviel wie „undichter Darm“ – ergibt sich daraus eine Fülle unterschiedlichster unspezifischer Symptome. Bei einigen liegt eine Fehlfunktion des Darmes nahe. Bei anderen scheint zunächst kein direkter Zusammenhang zu bestehen. Zur ersten Kategorie gehören:

  • Durchfall (Diarrhoe)
  • Blähungen (Flatulenzen)
  • Verstopfung (Obstipation)
  • Verdauungsprobleme

Zur zweiten Kategorie gehören:

  • Sodbrennen
  • Antriebslosigkeit
  • Erschöpfung
  • Stimmungsschwankungen
  • stumpfes Fell

Hinzu kommen chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (Inflammatory Bowel Disease/IBD), Futtermittelunverträglichkeiten, Allergien, chronische Infekte (alle Schleimhäute können betroffen sein), Parodontitis, Asthma, Ekzeme, Urticaria, Verhaltensauffälligkeiten, Erkrankungen des Bewegungsapparates bis hin zu Diabetes, Autoimmunerkrankungen. Verantwortlich für diese Vielfalt unspezifischer Symptomatik ist das infolge des Leaky Gut aus dem Gleichgewicht geratene Zusammenspiel aus Mikroorganismen im Darm, Darmschleimhaut, Immunzellen und Außenfaktoren (Futtermittel, Schadstoffe).

Dozenten und Autoren ATM - Autorin Dr. med. vet. Silke Stricker

Dr. med. vet. Silke Stricker

Dr. med. vet. Silke Stricker ist seit 2012 niedergelassene Tierärztin in Lehrte und hat zusätzlich Anfang der 90er Jahre ihre Ausbildung zur Tierheilpraktikerin absolviert. 12 Jahre Erfahrung in humanmedizinischen Speziallaboren mit Schwerpunkt Darmflora und Mikrobiom komplettieren ihren reichen Erfahrungsschatz. Denn vor allem der Darm und seine Bewohner wecken in der Therapie ihre besondere Begeisterung.

Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt in der Regulationstherapie, der Darmsanierung, der Phytotherapie und der Homöopathie. Es fasziniert sie immer wieder, wie „austherapierte“ Patienten von regulativen Maßnahmen und einer ganzheitlichen Betrachtungsweise profitieren können.

Seit 2020 ist sie Teil des Dozententeams der ATM. Komplexe Sachverhalte verständlich und im übergeordneten Zusammenhang darzustellen, sind ihr beim Unterrichten ein großes Anliegen.

Frau Dr. Stricker verfasst u.a. auch Fachartikel für das Jahrbuch der Clemens-von-Bönninghausen-Gesellschaft und für das medizinisch-wissenschaftliche Magazin „OM & Tiergesundheit“. In 2021 erscheint ihre erste wissenschaftliche Publikation „Eine Allergie kommt selten allein“.

vethomoeopathik.com

Quellen

Fasano, A. Leaky gut and autoimmune diseases. Clin Rev Allergy Immunol 2012 Feb; 42(1):71-8
Machat, N. Das Mikrobiom im Tier – eine unbekannte Welt. Vet-Journal 4 /2020
Pilla R., Suchodolski J. S. The Role of the Canine Gut Microbiome and Metabolome in Health and Gastrointestinal Disease. Front Vet Sci, 2020; 6: 498
Rüffer A. Ein Leck im Darm entdecken. Zeitschr. f. Komplementärmed. 3/2018, 46-48
Rüffer, A et al. Ist der Darm noch dicht? Das Leaky-gut-Syndrom. Zeitschr. f. Komplementärmed. 4/2015, 10-13
Schmidt, R. Die mukosale Grenzfläche – Schutz und Stabilisierung durch Tight junctions, OM & Ernährung 2009, Nr. 128

Weiterführende Literatur:

Beckmann, G, Rüffer, A. Mikroökologie des Darmes. Labor L+S; 3. Auflage; 2019
Schmidt R, Schnitzler S. Allergie und Mikrobiota. 1. Aufl., Stuttgart, Haug-Verlag; 2018
Steiner, J. M. Gastroenterologie bei Hund und Katze. Schlütersche; 2010

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