Tierphysiotherapie gehört heute beinahe zum therapeutischen Standard-Repertoire, nicht nur im Hunde- oder Pferdesport, auch in der Rehabilitation und in der Vorsorge. Aber was machen Tierosteopath und Tierchiropraktiker? Meist gibt es nur eine vage oder überhaupt keine Vorstellung davon, was sich dahinter verbirgt, wo die Unterschiede liegen und wie sich die beiden von der Physiotherapie abgrenzen. Unterscheiden sie sich überhaupt? Oder sind es nur angesagtere Bezeichnungen für ein und dieselbe Behandlungsform?
Nein, es sind tatsächlich drei verschiedene Therapieansätze, wenn auch mit einigen Gemeinsamkeiten. Physiotherapie, Osteopathie und Chiropraktik, ganz gleich, ob im Humanbereich oder in ihrer Anwendung bei Tieren,
- sind manuelle Therapien
- stellen die Beweglichkeit des Bewegungsapparates in den Mittelpunkt der Behandlung
- brauchen ein solides medizinisches und anatomisches Wissen, im Veterinärbereich auch noch über die Besonderheiten der jeweiligen Tierart
- erfordern Gefühl für anatomische Strukturen und geschickte Hände für die Umsetzung der Griffe
Tierphysiotherapeutisches Wissen bildet die notwendige Basis für alle drei Behandlungsformen bei der Anwendung am Tier. Was sie unterscheidet sind therapeutischer Ansatz, Grifftechniken und Hilfsmittel, außerdem die Art und Weise, wie diese Grifftechniken Einfluss nehmen auf Gewebe und Strukturen des Körpers.
Vor allem Hunde und Pferde werden physiotherapeutisch, osteopathisch oder chiropraktisch behandelt. Zwar können grundsätzlich auch andere Tiere davon profitieren. Allerdings sind Katzen oder Vögel oft weniger kooperativ, was eine Behandlung schwieriger macht und den Erfolg deshalb infrage stellen kann.
Tierphysiotherapie
Physiotherapeutische Behandlungen dienen auch beim Tier der Wiederherstellung, Verbesserung oder Erhaltung der körperlichen Mobilität und Funktionalität des Bewegungsapparates. Zur Optimierung sportlicher Leistungen ist die Tierphysiotherapie im Pferdesport inzwischen fest etabliert, gewinnt aber auch im Hundesport an Bedeutung.
Nach Operationen, nach Verletzungen des Bewegungsapparates und bei chronischen Erkrankungen in diesem Bereich werden heute von vielen Tierärzten physiotherapeutische Reha-Maßnahmen empfohlen und verordnet. Zunehmend häufiger integrieren tiermedizinische Kliniken und niedergelassene Tierärzte eine tierphysiotherapeutische Praxis in ihre Einrichtungen.
Ziel ist es, Folgeschäden aufgrund von Ruhigstellung, von Fehlbelastung oder Schonhaltung gering zu halten oder zu vermeiden. Selbst bei bereits chronischen Erkrankungen des Bewegungsapparates (dazu gehören Arthrosen, Dysplasien, Spondylosen und Muskeldystrophien) kann Tierphysiotherapie Schmerzen reduzieren helfen und dazu beitragen, das Fortschreiten der Erkrankungen zu verlangsamen oder sogar zu stoppen.
Neben manueller Intervention werden in der Tierphysiotherapie meist auch technische oder physikalische Hilfsmittel eingesetzt. Dazu zählen
- Laserbehandlung
- Magnetfeld- und Stoßwellentherapie
- Wärme- und Kältebehandlungen
- Laufbänder und Aquatherapie
die einzeln oder kombiniert die Behandlung ergänzen können.
Tierosteopathie
Osteopathie wird bei uns zur alternativen Medizin gezählt. Entwickelt wurde dieser Behandlungsansatz vom amerikanischen Arzt Andrew Taylor Still im 19. Jahrhundert. Er sah im Körper ein System, in dem alles mit allem verbunden ist. Entsprechend waren für ihn gesundheitliche Beeinträchtigungen immer nur systemisch zu behandeln, also ganzheitlich, nicht nur dort, wo Symptome auftreten. Beweglichkeit ist in der Osteopathie die Voraussetzung für eine optimale Ver- und Entsorgung aller Gewebe über das Gefäßsystem des Körpers. Zum Gefäßsystem zählen Blut- und Lymphgefäße.
Nice to know: Blut- und Lymphsystem
Blut und Lymphflüssigkeit werden in Gefäßen transportiert, den Blut- und Lymphgefäßen. Das Blut versorgt alle Gewebe und Organe des Körpers mit Nährstoffen, Botenstoffen und Sauerstoff, entsorgt Stoffwechselendprodukte und Kohlendioxid. Das Lymphsystem ist Teil des Immunsystems. Außerdem ist es beteiligt an der Verteilung von Flüssigkeiten im Körper. Es besteht aus kleinen Lymphgefäßen, die in den Randbereichen des Körpers (Peripherie) blind beginnen, zum Körperinneren hin in größeren Gefäßen zusammenlaufen und in den Venenkreislauf münden.
Heute werden systemische Zusammenhänge als Voraussetzung für Gesundheit im Rahmen der Salutogenese wissenschaftlich untersucht. Darunter wird die Fähigkeit des Körpers verstanden, sich gesund zu entwickeln und zu erhalten. Ein Forschungsbereich, der in der modernen Medizin seit den 1970er Jahren als Gegenbegriff zur Pathogenese (Entstehung und Entwicklung von Krankheiten) entstand und zunehmend wichtiger wird.
Stills Konzept war ursprünglich auf den Menschen zugeschnitten, wird inzwischen aber auch erfolgreich zur die Behandlung von Tieren eingesetzt. Voraussetzung dafür ist ein umfassendes tiermedizinisches, tieranatomisches, tierphysiologisches und tierpathologisches Wissen sowie physiotherapeutisches Wissen und Können.
Tierosteopathie – weiter gefasst als Tierphysiotherapie
Allgemeine Beweglichkeit ist im osteopathischen Behandlungsansatz die Grundvoraussetzung für Gesundheit. Die körpereigenen Selbstheilungskräfte werden nach osteopathischer Lehre durch Blockaden und Mobilitäts-Einschränkungen behindert:
Muskuläre und fasziale Verspannungen, wie sie durch Schmerzen, nach Verletzungen, durch Fehlbelastungen, Blockaden oder chronische Gelenkserkrankungen entstehen, stören Blutversorgung und Lymphfluss. Das wirkt sich nicht nur regional im Bewegungsapparat negativ aus. Die Fehlversorgung betrifft auch das Organsystem. Werden die Störungen behoben, kann der osteopathischen Lehre zufolge der Körper aus sich selbst heraus gesunden.
Nice to know: Faszien
Faszien sind hauchdünne, extrem feste Bindegewebsstrukturen. Sie durchziehen den ganzen Körper, grenzen Organe gegeneinander ab und halten sie an ihrem Platz. Darüber hinaus bilden sie ein Kommunikationsnetzwerk des Körpers und verbinden alles mit allem: Knochen und Muskeln, Bewegungsapparat und Organsysteme. Lange wurden Faszien wenig beachtet. Inzwischen wird ihre Bedeutung für die Vorgänge im Körper zunehmend erkannt und untersucht. Die osteopathische Behandlung erstreckt sich auf fasziale Blockaden und Verspannungen.
Was der Tierosteopath können muss
Ganzheitlich betrachtet wirken sich Störungen im Bewegungsapparat in unterschiedlicher Form auch auf andere Bereiche aus. Umgekehrt lassen sich durch die Wiederherstellung physiologischer Funktionen an einer Stelle auch damit verbundene Körperregionen erreichen. Das machen sich Tierosteopathen zunutze.
Obwohl sie scheinbar nur an der Oberfläche arbeiten, behandeln sie über ihre Grifftechniken auch innere Organe. Je nach betroffener anatomischer Struktur werden in der Tierosteopathie drei Behandlungssysteme unterschieden:
Parietale Osteopathie | Viszerale Osteopathie | Cranio-sacrale Osteopathie |
Erfasst Gelenke, Muskulatur, Bindegewebe | Erfasst Störungen der inneren Organe | Erfasst – über die Achse aus Schädel, Nacken, Zungenbein, Brustkorb, Wirbelsäule, Kreuzbein, Becken, Füße – Kopf und Nervensystem |
Der Osteopath generell, also auch der Tierosteopath, lernt zunächst, wie sich eine gesunde Muskulatur, gesunde Knochen und Gelenke anfühlen müssen. Bei der Untersuchung tastet er mit seinen Händen nach Abweichungen, Blockaden und Verspannungen, die ihm zeigen, wo eine Fehlversorgung besteht.
Über die tierosteopathischen Grifftechniken versucht er, diese so weit wie möglich zu lösen und dadurch den Bewegungsapparat zu mobilisieren. Die verbesserte Beweglichkeit von Muskeln und Gelenken optimiert die Versorgung der Gewebe und gibt dem Körper die Möglichkeit, sich aus sich selbst heraus regenerieren. Meist – aber nicht immer – wird dafür mehr als eine Behandlung nötig sein.
Tierchiropraktiker
Auch der Tierchiropraktiker stützt sich in seiner Arbeit auf die Sensibilität und Geschicklichkeit seiner Hände. Im Fokus steht für den Tierchiropraktiker aber nicht die Beeinflussung über das Gefäßsystem, sondern die Verbindung zwischen Bewegungsapparat und Nervensystem.
Damit das Gehirn Informationen (zum Beispiel Schmerzreize oder Hinweise auf Versorgungsmängel) vom Körper empfangen und angemessene Reaktionen veranlassen kann, müssen Gehirn und Körper in allen Bereichen reibungslos miteinander kommunizieren können. Das geschieht zu einem wesentlichen Teil über Nerven. Das Nervensystem wird unterteilt in zentrales (ZNS) und peripheres Nervensystem (PNS). Das ZNS umfasst Gehirn und Rückenmark, das PNS umfasst die Nerven außerhalb von Schädel und Rückenmark.
Geschützt durch den Wirbelkanal gelangen die langen Ausläufer der Nervenzellen als Rückenmark vom Kopf zum Körper. Der Wirbelkanal wird durch die Rückenwirbel gebildet. Aussparungen zwischen den Wirbeln bilden Durchtrittsöffnungen für Nervenstränge, die von dort aus als Teil des PNS die zugehörigen Körperregionen innervieren. Innerhalb dieses Systems aus ZNS und PNS gelangen Informationen aus dem Körper zum Gehirn und umgekehrt. Zum Beispiel ein Schmerzreiz aufgrund einer Verletzung, der dann im Gehirn eine Reaktion auslöst, die über eine Stoffwechselantwort zur Wundheilung führt.
Die Durchtrittsstellen des Wirbelkanals liegen jeweils zwischen zwei Wirbeln. Sie werden je zur Hälfte gebildet durch sich ergänzende Aussparungen zweier aufeinanderfolgender Wirbel. Wirbelblockaden und -verschiebungen können Störungen der Innervation in den zugehörigen Körperregionen einschließlich der inneren Organe verursachen. Dadurch wird die Weiterleitung von Reizen über die Nerven beeinträchtigt.
Der Extremfall ist allen bekannt: Es ist die Querschnittslähmung infolge einer Wirbelsäulenverletzung. Durch die Unterbrechung der Reizleitung im Rückenmark hat das Gehirn keine Verbindung mehr zum Bewegungsapparat und zu den Organen. Welche Teile des Körpers vom Kontrollverlust betroffen sind, hängt ab von der Stelle, an der das Rückenmark beschädigt wurde.
Tierchiropraktischer Fokus: Bewegungsapparat und Nervensystem
Die Tierchiropraktik zählt wie die Tierosteopathie zu den ganzheitlichen Behandlungsmethoden. Entwickelt wurde sie im 19. Jahrhundert vom Amerikaner Daniel David Palmer (1845-1913). Der therapeutische Ansatz beruht auf einer Optimierung der Reizweiterleitung durch Verbesserung oder Wiederherstellung der Beweglichkeit, vor allem der Wirbelsäule.
Ganzheitlich ist dieser Ansatz, weil nicht nur der Bewegungsapparat, sondern auch hier wieder die Funktion der inneren Organe beeinflusst wird. Wie in der Osteopathie also ein systemischer Ansatz, nur mit anderem Fokus. Dazu werden in der Chiropraktik ebenfalls besondere Grifftechniken eingesetzt, die sich von denen der Osteopathie unterscheiden. Sie sorgen für eine größtmögliche Mobilisierung skelettaler Strukturen, verbessern dadurch die neuronale Versorgung und Organfunktionen.
Fazit
Jede der manuellen Behandlungsformen hat einen anderen Schwerpunkt. Der Tierphysiotherapeut fokussiert auf konkrete Störungen des Bewegungsapparates, wie sie nach Immobilisierungen, Operationen, chronischen Erkrankungen oder Verletzungen auftreten können. Die Behandlung erfolgt einerseits manuell. Andererseits werden dafür technische und physikalische Hilfsmittel wie Laser, Licht oder Wassertherapie eingesetzt.
Der Tierosteopath ertastet und beseitigt Mobilitätsstörungen manuell. Gesundheit erfordert nach osteopathischer Lehre die freie Beweglichkeit aller Gewebe und Organe, einschließlich der Faszien. Verspannungen und Blockaden führen zur Minderversorgung durch gestörten Blut- und Lymphfluss. Sie stören darüber nicht nur die skelettale Beweglichkeit, sondern auch Organfunktionen. Die Wiederherstellung der Beweglichkeit normalisiert die Versorgung der Gewebe und ermöglicht dadurch dem Körper, aus sich selbst heraus zu gesunden. Damit verfolgt die Osteopathie einen ganzheitlichen Ansatz.
Der Tierchiropraktiker verbindet Einschränkungen in der Beweglichkeit nicht mit dem Gefäßsystem, sondern mit dem Nervensystem. Bewegungseinschränkungen des muskulären und knöchernen Skeletts beeinflussen die neuronale Versorgung körperlicher Strukturen. Auch das ist ein ganzheitlicher Therapieansatz. Symptome, die scheinbar keinen Zusammenhang haben, lassen sich anhand ihrer neuronalen Verbindung auf eine gemeinsame Ursache zurückführen. Chiropraktische Grifftechniken sorgen für eine größtmögliche Mobilisierung skelettaler Strukturen, verbessern dadurch die neuronale Versorgung und erreichen darüber gleichzeitig Organsysteme.
Information
Chiropraktik oder die Osteopathie werden unterschiedlich kritisch hinsichtlich ihrer Wirkung gesehen. So ist die Human-Chiropraktik beispielsweise in der Schweiz ein offizieller Medizinalberuf mit universitärer Ausbildung (wie Human- und Tierarzt, Zahnarzt und Apotheker). In anderen Ländern, auch in Deutschland, zählt sie zu den alternativen Behandlungsmethoden. Die Human-Osteopathie wird in Deutschland dagegen von vielen Krankenkassen getragen und darüber ihre Wirksamkeit anerkannt. Selbstverständlich sind nicht alle Krankheiten durch die beiden Therapieformen zu behandeln. Aber gute Therapeuten, die qualitativ hochwertig und umfassend ausgebildet sind, kennen die Grenzen ihres Kompetenzbereiches und überschreiten sie nicht, sondern arbeiten gern Hand in Hand mit Tierärzten.
ATM Akademie
Die ATM vermittelt ein solides Basiswissen in der klassischen Schulmedizin, eine Voraussetzung für jeden Gesundheitsberuf. Die Referenten sind Hochschuldozenten, Fachtierärzte und Humanmediziner mit erheblicher Praxiserfahrung, Tierpsychologen, Biologen und Apotheker. Erfahrene Heilpraktiker sowie anerkannte Experten aus dem Bereich der Naturheilkunde führen die Praktika im Schulungszentrum Bad Bramstedt durch.